Interview mit dem britischen Halal-Berater Evans

Abdalhamid Evans von der Firma Imarat Consultants berät Firmen beim Thema Halal, betreibt die Webseite halalfocus.com und ist Mitorganisator des World Halal Forum, das am 10. und 11. November in London statfinden wird.  Bei der 1. Europäischen Halalkonferenz im Sep­tember auf der Messe von Düsseldorf interviewte ein Redakteur der Islamischen Zeitung den britischen Berater und und sprach mit ihm über die Konferenz und über aktuelle Probleme des europäischen Halalmarktes.

Islamische Zeitung: Herr Evans, wie ist Ihr Eindruck von der heutigen Konferenz?

Abdalhamid Evans: Zunächst einmal dass sie größer ist als ich gedacht hatte, denn die Publicity, die im Vorhinein dafür gemacht wurde, war recht gering. Ich bin vor allem deswegen gekommen, weil ich mehr über Qibla Food Control herausfinden wollte, und die Rolle, die SGS als internationale Auditing-Firma im Halal-Sektor spielt und was sie vorhaben; allerdings war darüber nicht viel zu hören. In der Arbeitsgruppe Zertifizierung gab es für mich wenig Überraschungen, es waren die üblichen Themen, bei denen es häufig zu Diskussionen zwischen den verschiedenen Interessengruppen im Halalsektor kommt. Die Vorschläge, die gemacht wurden, sind keine eigentlichen Lösungen, aber ich denke sie gehen in die richtige Richtung. Denn ich denke, was die Halalthematik in Europa betrifft, müssen wir den Kontakt zu den Regierungen suchen, damit Halal einen geschützten rechtlichen Status erhält, so wie es in den USA bereits in einigen Bundesstaaten der Fall ist. Den Halalbegriff zu schützen und auch das Recht der Muslime, halal zu schlachten, zu schützen, das sind wichtige ­Themen. Ich denke, dass die Arbeit an einem einheitlichen Halal-Standard ein wenig wie die Suche nach dem heiligen Gral ist – es kann vielleicht unmöglich sein, dazu zu kommen. Aber standardisierte Verfahren für die Zertifizierungsstellen zu haben, wie hier auf der Konferenz auch vorgeschlagen wurde, könnte viel leichter zu bewerkstelligen sein. Und das wäre sicher sowohl im Interesse der Industrie als auch der Verbraucher. Denn im Moment ist es so, dass eine Halal-Zertifizierung alles mögliche bedeuten kann. Das kann sogar dazu führen, dass Muslime Produkte, die nicht als halal zertifiziert sind, bedenkenlos kaufen, während sie sich bei zertifizierten Produkten nicht sicher sind, ob sie ihnen vertrauen können. Eine Regulierung der Art und Weise, wie zertifiziert wird, ist also sehr wichtig und muss unbedingt vorangetrieben werden. Dies passiert auch in anderen Teilen der Welt, und Europa muss sich auch daran beteiligen. Konferenzen wie die heutige können nur Schritte auf einem Weg sein, der vielleicht erst in einigen Jahren zum Ziel führt.

Islamische Zeitung: Worin liegt eigentlich der Unterschied zwischen einem einheitlichen Halal-Standard und einheitlichen Zertifizierungsmethoden? Bedingen sich diese nicht zu einem großen Teil gegenseitig?

Abdalhamid Evans: Sie sind sicherlich miteinander verbunden. Ich denke, die Entwicklung eines einheitlichen Standards ist eine schwierige Aufgabe. Verschiedene internationale Institutionen arbeiten daran teils schon seit zehn Jahren. Selbst einen Standard auf nationaler Ebene einzurichten, ist eine Herausforderung, für die es mehrere Jahre brauchen würde. Bei einem internationalen Standard kommen noch unterschiedliche muslimische Positionen oder Unterschiede in der Gesetzgebung verschiedener Länder hinzu, sodass es sehr diffizil wird. Bis dahin sind es die Zertifizierungsstellen, die das ganze praktisch betreiben; wir wissen nur nicht, wie sie arbeiten. In Frankreich sind es oft Moscheen, die zertifizieren, in Deutschland islamische Organisationen, in England sind es andere islamische Einrichtungen, in anderen Ländern halbstaatliche Körperschaften. Manche Zertifizierer besuchen die Produktionsstätten vor Ort, andere halten dies nicht für nötig. Und dies ruft natürlich Zweifel bei den Verbrauchern hervor. Auch die Frage des Profits, den die Zertifizierer daraus ziehen, ob sie eine Gewinnbeteiligung an den zertifizierten Produkten haben dürfen und wenn ja wie hoch, diese Dinge müssen genauer geklärt und festgelegt werden.

Islamische Zeitung: Sind Sie auch der Meinung, dass die Zertifizierung in muslimischer Hand bleiben sollte?

Abdalhamid Evans: Ich denke, dass die Augen, die sich das Ganze anschauen, muslimische sein müssen. Ich sehe, dass große internationale Firmen wie SGS oder Intertec daran Interesse haben, das Auditing, den Prüfbereich, bei der Zertifizierung zu übernehmen; sie wissen aber auch, dass sie dies nicht allein tun können. SGS hat selbst gesagt, dass alle dabei involvierten Personen Muslime sein würden, und Intertec strebt dies zumindest an. Wenn Nichtmuslime die Zertifizierung übernehmen würden, würde dies nicht funktionieren – weder die muslimischen Verbraucher, noch die Industrie würde dies akzeptieren, denn die Verbraucher würden es nicht kaufen, und daher würde es sich mittelfristig auch für die Industrie nicht auszahlen. Die Verbraucher möchten, dass ein Muslim ihnen sagt, dass etwas halal ist, aber auch wissen, nach welchen Kriterien dabei gearbeitet wird.

Islamische Zeitung: Ist das Schlachten mit Betäubung heute von einer Mehrheit der Zertifizierer akzeptiert? Viele muslimische Verbraucher lehnen ja nach wie vor jegliche Betäubung ab…

Abdalhamid Evans: Die Industrie liebt die Betäubung, und sie wird von vielen Zertifizierern akzeptiert, besonders solchen, die es der Industrie leicht machen wollen. Ich denke, noch vor fünf Jahren war vielen muslimischen Konsumenten wenig über die verschiedenen Schlachtmethoden bekannt, mit oder ohne Betäubung, mechanisch oder von Hand und so weiter; sie haben es einfach als halal betrachtet, ohne weiter nachzufragen. Aber es gibt ein steigendes Bewusstsein und Wissen der Konsumenten über diese Fragen, und ich glaube eine große Zahl von ihnen würde Fleisch von ohne Betäubung geschlachteten Tieren bevorzugen. Das Problem in der Industrie ist, dass alles möglichst mit dem geringst möglichen Aufwand gemacht wird, um den Zugang zum Halal-Markt zu bekommen. Es werden also bestehende technische Schlachtanlagen angepasst, mit dem geringst möglichen, was erforderlich ist, um eine Halal-Zertifizierung zu bekommen. Es wird sich nicht überlegt, wie man eine technische Lösung erfinden kann, um die bestmöglichen Bedingungen für eine Halal-Schlachtung zu erreichen. Dies Frage stellt man sich gar nicht. Dennoch könnte dies auch ein fruchtbarer Bereich für die Industrie sein, um neue Investments in den Halal-Sektor zu bringen. Es ist viel die Rede von Halal Industrial Zones und ähnlichem. Es wäre ein interessantes Projekt, ein Halal-Schlachthaus von Grund auf neu zu konzipieren mit dem Ziel, einfach das Optimum zu verwirklichen. Die bestehenden Normen und Standards im europäischen Lebensmittelbereich sollten, unabhängig von der Halal-Frage, natürlich auch eingehalten werden, denn es ist kein Geheimnis, das vieles, was heute als halal gehandelt wird, qualitativ eher zweitklassig ist. Halal sollte aber das beste sein, was man bekommen kann. Halal-Produkte sollten die besten auf dem Markt sein.

Islamische Zeitung: In wie weit ist die drohende EU-Richtlinie, dass Fleischprodukte aus betäubungsloser Schlachtung als solche gekennzeichnet werden müssen, ein Problem?

Abdalhamid Evans: Es ist tatsächlich eine Bedrohung. In erster Lesung wurde der Entwurf ja bereits angenommen. Das Problem damit ist, dass es diskriminierend ist. Wenn man alle Fleischproduzenten dazu bekommen würde, anzugeben, ob die Tiere betäubt wurden oder nicht, wäre es eine ausgeglichene Sache. Stattdessen wird eine Gruppe – jene, die nicht betäuben – gezwungen, dies so zu deklarieren. Das bedeutet eine negative Kennzeichnung, denn dahinter steht natürlich die Vorstellung, dass es unethisch sei, ohne Betäubung zu schlachten, dass Halal-Fleisch das Produkt eines unethischen Prozesses ist, bei dem das Wohl des Tieres nicht berücksichtigt wird. Erstens ist dies also diskriminierend, zweitens widerspricht es auch den Richtlinien der Welthandelsorganisation WTO hinsichtlich erzwungener Kennzeichnung. Ob man aber, falls die EU dies beschließt, aufgrund dessen eventuell im Nachhinein noch rechtlich dagegen vorgehen kann, ist eher unwahrscheinlich, denn diese WTO-Richtlinie hat nicht den hohen Status wie Sicherheits- oder Hygienefragen bei Produkten, die justiziabel sind; hier geht es eher um die Ebene der Verbraucherinformation. Wenn man meint, dass mit Betäubung geschlachtetes Fleisch ethischer ist, man sich also auf der ethisch höheren Ebene sieht, warum deklariert man es dann nicht freiwillig entsprechend als solches? So wie auch Produkte gekennzeichnet werden, die ohne Tierversuche getestet wurden. Aber per Gesetz zu erzwingen, dass jemand, dessen Schlachtmethode man als weniger ethisch betrachtet, solch eine Kennzeichnung vornehmen muss, ist nicht akzeptabel. Und dies betrifft nicht nur europäische Fleischproduzenten, sondern auch alle, die von Außen in die Europäische Union exportieren. Damit baut man eine Handelsbarriere auf. Das ist eindeutig eine Diskriminierung.

Islamische Zeitung: Gibt es aktuell Versuche muslimischer Organisationen, dieses Gesetz zu verhindern?

Abdalhamid Evans: Nicht genug. Wir haben Anfang November das World Halal Forum in London, wo wir dieses Thema massiv auf die Tagesordnung bringen wollen, als eines der Hauptthemen des Forums. Die Muslime sind leider oft zu träge, in solchen Dingen proaktiv zu agieren. Wir präsentieren unseren Din nicht proaktiv, sondern kämpfen lediglich, um ihn zu verteidigen, wenn wir das Gefühl haben, dass er uns genommen wird. Ich denke, wir müssen erkennen, wo wir leben; wir leben in Europa, und wenn es solche politischen Bestrebungen gibt, müssen wir dieses politische Spiel mitspielen und mit den gegebenen Strukturen, Prozessen und Möglichkeiten arbeiten. In dieser Frage wurde bisher definitiv nicht genug getan. Und mehr noch, die EU hat eine teure Studie erstellen lassen, um herausfinden zu lassen, ob Betäuben oder Nichtbetäuben besser sei. Wenn man diese liest, kann man erkennen, dass schon im Vorhinein feststand, dass Betäubung besser sei. Dass diese Studie dann auch zu diesem Ergebnis kam, ist daher keine Überraschung. Wir Muslime müssen aufwachen. Man versucht, das Recht auf religiöse Schlachtung zu säkularisieren. Letztlich soll diese ganz abgeschafft werden, und damit auch das Schlachten am Opferfest. Denn man kann dies nicht allein zu Hause tun, man kann es aber auch nicht mehr auf einem Bauernhof tun, und die Betreiber der Schlachthäuser können es auch nicht mehr tun. Das wäre das Ende der rechtlichen Möglichkeit für Muslime, zu opfern. Darauf müssen wir aber unbedingt bestehen. In vielen europäischen Ländern, wie Deutschland, ist das Schlachten ohne Betäubung ohnehin verboten, in England beispielsweise ist es aber Juden und Muslimen bisher erlaubt. Es wird versucht, dies in den Ländern, wo es noch erlaubt ist, auch zu verbieten. Ich weiß nicht, ob es schon zu spät ist; aber das World Halal Forum im November sollte noch einmal eine Plattform sein, dieses Problem bekannter zu machen und eine Resolution dazu zu beschließen, auch mit Unterstützung bestimmter internationaler Institutionen, die dort anwesend sein werden. Aber auch muslimische Staaten, die Fleisch nach Europa exportieren oder zukünftig exportieren wollen, sollten ihre Unterstützung gewähren, gegen dieses Gesetz vorzugehen, denn es würde wie gesagt weltweite Auswirkungen haben.

Islamische Zeitung: Was ist eigentlich die mehrheitliche islamische ­Position zur Betäubung vor der Schlachtung?

Abdalhamid Evans: Gegner der Betäubung können zwar sagen, dass diese verpönt ist, aber nicht, dass sie haram, verboten, ist. Das Problem beispielsweise in England ist, dass manche von jenen, die gegen eine Betäubung sind, die Position einnehmen, dass Fleisch aus Schlachtung mit vorheriger Betäubung haram sei. Ich denke, eine solche Position lässt sich sehr schwer begründen. Die Gelehrten haben dies nicht so gesehen, wie kann man da selbst zu so einer Position kommen? Diese Leute gehen von der Zweifelhaftigkeit aus, vor allem bei Hähnchenfleisch, wo es heißt, dass möglicherweise bis zu 20 Prozent der betäubten Tiere tot sind, bevor sie geschlachtet werden. Da man keines von diesen essen möchte, woher soll man dann wissen, ob das Hähnchen, das man essen will, wirklich halal ist? Denn man könnte ja dasjenige erwischt haben, das tot war, bevor es geschlachtet wurde. Die Betäubungsmethoden können aber sicher noch verbessert werden; wir leben im 21. Jahrhundert, man kann doch überprüfen, ob das Tier bei der Schlachtung noch lebt. Diejenige Betäubungsmethode, die aber von der EU-Gesetzgebung befördert wird, ist ausgerechnet die Gas-Betäubung. Und diese ist absolut irreversibel, sie bedeutet Tod durch Gas. Wenn das durchkommt, gibt es kein halal mehr. Auf lange Sicht glaube ich aber nicht, dass man mit dem Gesetz zur Negativ­kennzeichnung durchkommen wird, wenn man die WTO-Position dazu berücksichtigt, die gesammelte Kaufkraft der muslimischen Welt und alle anderen Implikationen, die relevant werden können, wenn man die Muslime auf diese Art aufbringt. Muslime bilden 25 Prozent der Weltbevölkerung und geben eine enorme Menge von Geld aus, selbst wenn die muslimische Welt weitgehend unentwickelt ist. Man kann den Islam und die Muslime heute nicht mehr ignorieren. Wir müssen unsere Sache nur gut machen. Bis jetzt haben wir das im Großen und Ganzen noch nicht getan. Ich hoffe, dass eine neue Generation von Muslimen eine neue Perspektive bringt, eine neue Hoffnung, neue Ambition und ein neues Gefühl von Möglichkeiten. Ich sehe das definitiv in den USA, ich sehe es in England, ich sehe es in Europa; es gibt eine neue Generation von Muslimen mit Migrationshintergrund, die hier aufgewachsen sind, und die de facto Europäer sind, sowie Europäer, die den Islam angenommen haben. Dieser Teil der muslimischen Umma wird einen gewaltigen Beitrag leisten, der viel bewirken wird, so Allah will.

Islamische Zeitung: Lieber Abdalhamid Evans, vielen Dank für das Interview.

Quelle: Islamische Zeitung