Emotioneller Tierschutz führt auf abschüssige Bahnen

In der immer emotionaler werdenden Diskussion um den Islam in Deutschland erinnert Fachjournalist Peter Ziegler an zwei Veröffentlichungen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus den Jahren 2001 und 2002. Sie sind es wert im Internet neu publiziert zu werden, als Beitrag zur Meinungbildung.

Die Entstehung und die Auswirkungen des nationalsozialistischen Reichstierschutzgesetzes von 1933

Autor: Daniel Jütte – Tutor: Dr. Eberhard Wolff

1 Einleitung 

Das Thema Tierschutz ist in den vergangenen Monaten wieder in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Zugleich hat die Diskussion über die bundesrepublikanische Tierschutzgesetzgebung wieder in hohem Maße an Aktualität gewonnen. Die Tierseuchen des Jahres 2000 haben ebenso wie das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zum muslimischen Schächten eine diffuse Sensibilisierung für die Belange des Tierschutzes ausgelöst, der sich auch die Politik zunehmend beugt: Herausragendes Beispiel für den Einfluss dieser zunehmenden Emotionalisierung auf die Tierschutzgesetzgebung ist die im Mai 2002 vollzogene Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz der Bundesrepublik. Nachdem die CDU/CSU-Opposition von Seiten des organisierten Tierschutzes wegen der beharrlichen Ablehnung dieser Grundgesetzänderung in die Kritik geraten war, lenkte der Kanzlerkandidat der Union, der bayerische Ministerpräsident Stoiber, schließlich medienwirksam ein: Er erklärte sich mit der Ergänzung des Grundgesetzartikels 20a einverstanden und machte damit den Weg für die notwendige parlamentarische Zweidrittelmehrheit frei. Dass die „Erhebung des Tierschutzes zum Staatsziel“ de facto jedoch nichts an der bestehenden Tierschutzgesetzgebung ändern wird, lässt die parlamentarischen Bemühungen in einem umso fragwürdigeren Licht erscheinen. Eine historische Betrachtung der deutschen Tierschutzgesetzgebung, insbesondere des bis 1972 gültigen „Reichstierschutzgesetzes“, mag daher sehr geeignet sein um zu zeigen, auf welche abschüssigen Bahnen ein ideologischer oder emotional aufgeladener Tierschutz führen kann.


2 Zur Entstehung der deutschen Tierschutzgesetzgebung.
Der Weg zum nationalsozialistischen Reichstierschutzgesetz.

Der Streit in Deutschland um den wissenschaftlichen Tierversuch, oftmals auch mit dem medizinischen Fachbegriff „Vivisektion“ bezeichnet, hat seine Wurzeln in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zwar gab es schon vorher Ansätze einer organisierten Anti-Vivisektionsbewegung, vor allem in England, doch erst ab den 1870er Jahren konnten sich auch hierzulande Tierschützer mit ihren Forderungen in Teilen der Bevölkerung wirklich Gehör verschaffen. Damit vollzog sich allmählich der Wandel von einer belächelten Randgruppe hin zu einer mitgliederstarken Bewegung. Zweifellos ist dieser Popularitätsschub der Tierschutzbewegung auch auf den Einsatz zahlreicher Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zurückzuführen, die für Tierschutz und gegen Vivisektion agitierten. Zu ihnen gehörte nicht zuletzt der Komponist Richard Wagner (1813-1883), der in seinen letzten Lebensjahren gegen die Vivisektion zu Felde zog und ebenso vehement eine Abkehr vom Fleischverzehr forderte. Der berühmte Komponist sah im Vivisektor „das Böse und das Jüdische“ (ARLUKE & SAX, 1992) zugleich und forderte deswegen die Zerstörung der Laboratorien und die Entfernung der darin beschäftigten Mitarbeiter.

Neben solchen zutiefst polemischen und meist wenig seriösen Beiträgen zum Streit um den wissenschaftlichen Tierversuch gab es im 19. Jahrhundert kaum konstruktive Versuche, eine neue Tierschutzgesetzgebung zu bewirken. Der im August 1879 von Ernst v. Weber in Gotha gegründete radikale „Internationale Verein zur Bekämpfung der wissenschaftlichen Thierfolter“ setzte die Agitationen gegen die Vivisektion im Stile Wagners fort und attackierte Behörden und Politiker mit Bittschriften und Aufrufen, lange Jahre freilich ohne Erfolg. Erst 1885 wurden mit dem preußischen „Gossler-Erlaß“ die vorhandenen Bestimmungen zur Vivisektion neu formuliert und auf moderate Weise verschärft. Darüber hinaus hat der „Gossler-Erlaß“ entscheidend dazu beigetragen, dass der Streit um den wissenschaftlichen Tierversuch in weiten Teilen der Bevölkerung nun als abgeschlossen betrachtet wurde und das Interesse der Öffentlichkeit in den späten 1880er Jahren an diesem Streit rasch erlosch. Ab 1906 ging das Preußische Herrenhaus bei Petitionen zur Vivisektion sogleich zur Tagesordnung über, was einer formalen Nichtbeachtung solcher Eingaben gleichkam. Auch in der Weimarer Republik sah man auf der legislativen Seite keinen Handlungsbedarf und übernahm im wesentlichen die gesetzlichen Bestimmungen des Kaiserreichs.

Obwohl oder gerade weil die parlamentarischen Bemühungen der Tierschutzbewegung in den 1920er Jahren immer wieder scheiterten, zuletzt bei der Strafrechtsreform 1927, stieg die Zahl derjenigen, die Tierschutzvereinen beitraten, kontinuierlich. Die Gründe hierfür sind in der Wissenschaft bislang kaum thematisiert worden. Es ist zu vermuten, dass die einprägsamen Forderungen der Anti-Vivisektionisten bei der wachsenden Zahl rechtsextrem gesonnener Menschen Zuspruch fanden. Immerhin standen sowohl Anti-Vivisektionisten als auch Anhänger rechter Parteien Ideen wie der Lebensreformbewegung, der Abkehr von der modernen, „jüdischen“ Wissenschaft hin zur Volksmedizin und der Naturverbundenheit durchaus nahe. Die hoffnungsvollen Versprechungen der Nationalsozialisten, sich bei einer Machtübernahme verstärkt um den Tierschutz zu kümmern und „das Vereinsziel zu stützen“ (SCHWEIGER, 1993), haben vermutlich dazu beigetragen, dass die Tierschutzbewegung zu großen Teilen politisch immer weiter nach rechts rückte. Dass der zunehmende Druck der Anti-Vivisektionisten schließlich Erfolg hatte, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Gossler-Erlass am 3. April 1930, also nach 45 Jahren uneingeschränkter Gültigkeit, für Preußen neu gefasst und durch den sogenannten „Grimme-Erlaß“ ersetzt wurde. Die Bestimmungen lauteten im einzelnen:

1. Versuche an lebenden Tieren dürfen nur zu ernsten Forschungs- oder wichtigen Untersuchungszwecken im Interesse der Erkenntnis zur Verhütung und Heilung menschlicher und tierischer Erkrankungen in geeigneten Räumen mit gutem Instrumentarium von geschulten Kräften vorgenommen werden. Bei der Anwendung und Ausführung aller Versuche ist nach maßvollen und billigenswerten Grundsätzen zu verfahren; neben den Interessen der wissenschaftlichen Forschung und Belehrung müssen die Anforderungen der Humanität Beachtung finden.

2. In den Vorlesungen und bei wissenschaftlichen Vorträgen sind hier Versuche nur in dem Maße statthaft, als dies zum vollen Verständnis des Vorgetragenen notwendig ist. Um unnötige Wiederholungen von Tierversuchen zu vermeiden, empfiehlt es sich in geeigneten Fällen, solche Versuche in Filmaufnahmen festzuhalten und die Filme an
Stelle neuer Tierversuche vorzuführen.

3. Die operativen Vorbereitungen zu den Vorlesungs- und Vortragsversuchen sind in der Regel noch vor Beginn der eigentlichen Demonstration und in Abwesenheit der Zuhörer zu bewerkstelligen.

4. Tierversuche dürfen nur von Hochschullehrern und Anstaltsleitern oder unter ihrer Verantwortlichkeit ausgeführt werden.

5. Versuche, welche ohne wesentliche Beeinträchtigung des Resultates an niederen Tieren gemacht werden können, dürfen nur an diesen und nicht an höheren Tieren vollzogen werden.

6. In allen Fällen, in welchen es mit dem Zwecke des Versuchs nicht schlechterdings unvereinbar ist, müssen die Tiere vor dem Versuch zur Aufhebung der Schmerzempfindlichkeit durch Anästhetika betäubt werden.

Die Tierschutzverbände, deren Selbstbewusstsein infolge der politischen Interessenvertretung durch die NSDAP stetig gestiegen war, gaben sich mit dem „Grimme-Erlaß“ freilich nicht zufrieden. Die nationalsozialsozialistischen Zeitschriften verstanden es indes vortrefflich, die Tierschützer mit der Aussicht auf ein Tierversuchsverbot immer weiter in den Bann der Partei zu ziehen.  Unverhohlen fragte die Jugendzeitschrift „Die Weiße Fahne“ 1933 (Nr. 14, S. 404-406): “Weißt Du, daß Dein Führer schärfster Gegner jedweder Tierquälerei, vor allem der Vivisektion, der „wissenschaftlichen“ Tierfolter ist, dieser entsetzlichen Ausgeburt der jüdisch-materialistischen Schulmedizin, von der er erklärt, daß im nationalsozialistischen Staat diese Zustände sehr bald beendet sein werden?“ (zit. nach WUTTKE-GRONEBERG, 1982a).

3 Görings Vivisektionsverbot und Hitlers Reichstierschutzgesetz:
Der Tierschutz im Griff der NS-Ideologie

Es gehört zu den kaum erforschten Ereignissen in der Zeit kurz nach Hitlers Machtergreifung im Januar 1933, dass bereits am 1. April 1933 der Beschluss der neuen nationalsozialistischen Regierung fiel, ein Reichstierschutzgesetz zu erlassen. Reichsinnenminister Wilhelm Frick erhielt den Auftrag, ein solches Gesetz auszuarbeiten, und begann umgehend mit den Arbeiten. Da ein derartiges Gesetz ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte darstellte und die Abfassung daher unerwartete Probleme mit sich brachte, wurde erst die vierte Fassung des Gesetzentwurfs vom 4. November 1933 vom Kabinett am 14.11.33 als beschlussfähig angesehen, nachdem bereits drei durchaus verschiedene Fassungen vorausgegangen waren. Immer wieder hatten Tierschutzverbände Gesetzesvorschläge und -entwürfe beim Reichsinnenminister eingereicht und auf die Klärung von Detailfragen gedrungen.

Die Weichen für das Grundanliegen des Gesetzes waren freilich schon lange vorher gestellt worden: Am 16. August 1933, über drei Monate vor Erlass des Reichstierschutzgesetzes, hatte Hermann Göring in seiner Funktion als preußischer Ministerpräsident die „Vivisektion an Tieren aller Art für das gesamte preußische Staatsgebiet“ per Erlass als verboten erklärt. Eilfertig kommentierte die Reichspressestelle der NSDAP am nächsten Tag: „Der Ministerpräsident hat die zuständigen Ministerien beauftragt, ihm unverzüglich ein Gesetz vorzulegen, nach dem die Vivisektion mit hohen Strafen belegt wird. Bis zum Erlaß dieses Gesetzes werden Personen, die trotz des Verbotes die Vivisektion veranlassen, durchführen oder sich daran beteiligen, ins Konzentrationslager abgeführt.“ (zit. nach EBERSTEIN, 1999, 210).

Obwohl die deutsche Geschichtswissenschaft diese Quelle mitsamt ihrer bemerkenswert frühen Verwendung des Wortes „Konzentrationslager“ bislang völlig übersehen hat, kann der Text auf eindrückliche Weise verdeutlichen, wie ernst die Nationalsozialisten ihre Bemühungen um den Tierschutz meinten. Dass ausgerechnet Vivisektoren strafrechtlich mit den erklärten Feinden des Regimes (KPD, SPD etc.) auf eine Stufe gestellt wurden, verdeutlicht, dass der Tierschutz prominenten Nationalsozialisten, wie beispielsweise Göring, besonders am Herzen lag. Es ist anzunehmen, dass Görings Drohung die in Preußen tätigen Wissenschaftler eingeschüchtert und den Protest der Ärzteschaft unterdrückt hat. In der Presse fand der Erlass allerdings auch sarkastische Resonanz, wie eine Karikatur aus der satirischen Zeitschrift „Kladderadatsch“ (3.9.1933) belegt. Der uniformierte Göring schreitet eine Parade von Labortieren ab, die ihre Hand zum Hitlergruß erhoben haben und ihm „Heil Göring“ zurufen.

Diese gelungene Ironisierung von Görings „Kulturtat“ zeigt, dass zumindest anfangs noch kritische oder gar spöttische Stimmen vorhanden waren, die in dem Erlass – nicht zu Unrecht – eine politische Vereinnahmung und das Werk einer zweifelhaften Tierliebe sahen.

4 Das Reichstierschutzgesetz und seine Bestimmungen

Mit dem offiziellen Inkrafttreten des Reichstierschutzgesetzes am 1.2.1934 galt als Tierquälerei fortan, „ein Tier unnötig zu quälen oder roh zu mißhandeln“. Der Gesetzestext erläutert dabei die Begriffe „unnötig“, „quälen“, „mißhandeln“ und „roh“, um eventuelle Unklarheiten der Definition auszuräumen. Beispiel für explizit eingeschränkte oder sogar verbotene Tierquälereien finden sich in Abschnitt 2, der einen Bogen vom Halten eines Haustieres über das Kupieren von Pferdeschwänzen bis hin zur Verwendung von Grubenpferden schlägt. Erst im dritten Abschnitt wurden die „Versuche an Tieren“ thematisiert und verbindliche Bestimmungen festgelegt. Hierbei sind vor allem die Paragraphen §7 und §8 zu nennen, die Tierversuche so rigoros wie noch nie zuvor in der deutschen Tierschutzgesetzgebung reglementierten. Die langjährige Forderung der Tierschutzvereine, dass tierexperimentell forschende Institute eine Genehmigung beim Reichsinnenminister beantragen müssen, wurde somit erfüllt. Ebenso bemerkenswert waren die strikten Bestimmungen zur Versuchsdurchführung selbst. Danach waren – wenn irgend möglich – niedere Versuchstiere (Ratten, Mäuse, Meerschweinchen etc.) den höheren Versuchstieren (z. B. Affen, Hunden, Katzen etc.) bei Versuchen vorzuziehen. Ferner mussten Versuche bis auf wenige Ausnahmen immer unter Betäubung des Versuchstieres vorgenommen und durften nicht zweimal an demselben Tier durchgeführt werden, wenn dieses bereits beim ersten Versuch unter Schmerzen zu leiden gehabt hatte.

Der vierte Abschnitt des Gesetzes regelte schließlich die Strafbestimmungen. Auch hier kam der nationalsozialistische Gesetzgeber den Vorstellungen der Tierschutzgegner sehr weit entgegen. Bei Tierquälereien drohten bis zu 2 Jahre Gefängnis und Geldstrafe oder eines von beiden. Ähnlich wurden Verstöße gegen die Tierversuchsbestimmungen bestraft. Selbst bei Fahrlässigkeit sah das Gesetz 150 RM Geldstrafe oder gar Haftstrafe vor.

5 Tierschutz als Teil der NS-Weltanschauung: Das ideologische Fundament des Reichstierschutzgesetzes

Das Reichstierschutzgesetz stellt zweifellos eine Zäsur in der deutschen Tierschutzgesetzgebung dar. Erstmals seit ihrem Bestehen hatte die deutsche Tierschutzbewegung fast all ihre Forderungen durchsetzen können, wohingegen die wissenschaftliche Forschung eine Beschneidung ihrer jahrzehntelang durch den Gossler-Erlass zugesicherten Rechte hinnehmen musste. Das nationalsozialistische Regime verband damit allerdings nicht nur die Absicht, sich bei den Anhängern der mittlerweile 700 deutschen Tierschutzvereine (1885: 140 Vereine) ins rechte Licht zu rücken. Vielmehr hatte man sich auf die Fahnen geschrieben, den „Stand der Tierschutzgesetzgebung in einem Lande als Gradmesser für die Kulturstufe des Volkes“ (GIESE & ZSCHIESCHE, 1933, 748) zu etablieren.

Die eigentlichen Beweggründe lässt die Präambel der amtlichen Begründung des Reichstierschutzgesetzes erkennen: „Die Schaffung eines Reichsgesetzes zum Schutze der Tiere [ist] seit Jahrzehnten Wunsch des deutschen Volkes, das besonders tierliebend ist und sich den hohen ethischen Verpflichtungen dem Tiere gegenüber bewußt ist.“ (zit. nach EBERSTEIN, 1999, 338). Gerade diese Formulierung belegt, dass Tierschutz aus einem deutsch-völkischen Gedanken heraus abgeleitet wurde. Tierschutz sollte also nicht nur „des Tieres wegen“ nötig sein, sondern bezog seine Rechtfertigung nicht zuletzt aus der Theorie der Naturverbundenheit des nordisch-germanischen Menschen. Auch der Antisemitismus war eng in die Argumentation von Nationalsozialisten und radikalen Tierschützern verflochten: Der Tierversuch galt als das Werk jüdischer Wissenschaftler und verkörperte die angeblichen Bestrebungen, den germanischen Menschen von der ihm eigenen Naturverbundenheit zu lösen und an deren Stelle eine mechanistische, die Natur ausbeutende Wissenschaft zu etablieren.

Dass dieses Denken nicht erst mit den Nationalsozialismus aufkam, sondern bereits um die Jahrhundertwende vorhanden war, verdeutlicht ein Artikel von 1906 im „Tier- und Menschenfreund“, dem Sprachrohr der Tierschutzbewegung:

„Je tiefer die Völker noch von Semitismus durchdrungen sind und die Denk- und Gefühlsweise desselben beibehalten haben, desto weniger Verständnis besitzen sie für den Tierschutz, wohingegen die germanischen Völker die Bestrebungen des Tierschutzes in sich vereinigen“ (zit. nach SCHWEIGER, 1993, 57). Tierschutz als antisemitische Kulturkritik, als Wissenschafts- und Professionalitätsfeindlichkeit – diese Merkmale waren sowohl für die Tierschutzbewegung als auch für die nationalsozialistische Ideologie charakteristisch. Zugleich ging es den Nationalsozialisten bei aller geistigen Nähe zum organisierten Tierschutz darum, mit dem Reichstierschutzgesetz einen Schlussstrich unter den Streit um die Vivisektion, der über ein halbes Jahrhundert in Deutschland geschwelt hatte, zu ziehen und damit der Agitation einer Protestbewegung die Grundlage zu entziehen.

Bereits kurz nach dem Erlass des Gesetzes kam es zu einer Einschränkung weiterer öffentlicher Berichterstattung über die Vivisektion, was langfristig dazu führte, dass etablierte Zeitschriften der Anti-Vivisektionsbewegung ihr Erscheinen einstellten, so zum Beispiel im Jahre 1935 „Tier und Mensch“ und 1936 dann „Tierrecht und Tierschutz“. Im gleichgeschalteten NS-Staat war Agitation fortan nicht mehr gewünscht: Am 6.12.1933 hatte Reichsinnenminister Frick „im Interesse eines geordneten und wirksamen Tierschutzes“ einer „Neuorganisation und Gleichschaltung der deutschen Tierschutzvereine“ (SCHWEIGER, 1993, 100) zugestimmt. Dies erklärt auch, warum die Tierschutzvereine keine Vertreter in die Kontrollkommissionen für die Überwachung der Universitätsinstitute entsenden durften. Die deutsche Tierschutzbewegung hatte sich mit ihrer Anbiederung an den Nationalsozialismus für lange Jahre
den Weg in die Bedeutungslosigkeit bereitet.

6 Die Auswirkungen des Reichstierschutzgesetzes auf die medizinische Forschung an den Universitäten Tübingen, Heidelberg und Freiburg i. Br.

Im Archiv der Universität Tübingen hat sich bis heute eine umfangreiche Akte zur Praxis des Tierversuchs an der medizinischen Fakultät zwischen 1933 und 1943 erhalten. Sie gibt vor allem Aufschluss über die bürokratischen Mühen, die das neue Tierschutzgesetz den Fakultätsmitgliedern mit tierexperimentellen Forschungsvorhaben aufbürdete. Gleichwohl kam es kaum zu Unmutsbezeugungen oder gar Protest gegen die restriktiven Bestimmungen. Dies verwundert, da Fakultätsmitglieder, allen voran der Leiter des Zoologischen Institutes, Professor Harms, sowie der damalige Dekan Professor Kohlrausch, noch 1931 schärfstens gegen die antivivisektionistischen Forderungen des „Verbandes der Tierschutzvereine des Deutschen Reiches“ protestiert und sogar die Möglichkeit einer Zivilklage wegen Verleumdung erwogen hatten. Auch der damalige Rektor der Universität, Professor Paul Simon, gab sich keine Mühe seine Ablehnung gegenüber Tierschützern zu verbergen, wie der Briefwechsel mit einem besorgten Kirchtellinsfurter Bürger belegt: Der Tierfreund Wilhelm Wirsum hatte im März 1933 in einem Brief eindringlich gebeten, „diese Hölle für die betroffenen Tiere“ [gemeint ist die Vivisektion, D.J.] einzustellen. Daraufhin antwortete der Rektor ebenso kühl wie knapp: „Gegen die Vivisektion vorzugehen, steht nicht in meiner Macht. Es ist mir auch nicht bekannt, daß sie in einem Universitätsinstitut geübt wird.“ Dass insbesondere letztere Aussage nicht der Wahrheit entsprach, bedarf wohl keines Beleges. Bereits wenige Monate später war die Kritik der Fakultätsmitglieder verstummt: Ohne Protest beantragte nahezu jeder Institutsleiter eine Tierversuchsgenehmigung beim Reichsinnenminister. Manch einer wich sogar vom vorgefertigten Antragstext ab und versicherte in einem Akt vorauseilenden Gehorsams seine besondere Rücksichtnahme auf die optimale Behandlung der Tiere. Hier wird im kleinen deutlich, was Uwe Dietrich Adam in seiner Studie über die „Universität Tübingen im Dritten Reich“ bereits festgestellt hatte: Dank eines ungezügelter Karrierismus und politischen Opportunismus der Hochschullehrer war Tübingen schon 1933 ein Musterbeispiel einer Universität im Griff des Nationalsozialismus. Es gab daher auch kaum Probleme bei der Genehmigung der Tierversuche. Erst 1943 scheinen die Experimente ein Ende gefunden zu haben. Freilich nicht aus wissenschaftlichen oder politischen Gründen, sondern vielmehr aufgrund des Zusammenbruchs des halbstaatlichen Futterversorgung für die Versuchstiere. Mit Resignation bemerkte Rektor Stickl 1944, dass ein namentlich nicht genannter Institutsdirektor Tierversuche nur deshalb auch weiterhin betreiben könne, da er jeden Tag mit Sichel und Leiterwagen losziehe, um Futter für seine Tiere zu besorgen.

An der Universität Heidelberg sahen sich die Mitglieder der dortigen medizinischen Fakultät spätestens seit 1942 mit denselben Problemen wie ihre Kollegen in Tübingen konfrontiert: Versuchstier- und Futtermangel. Diese „Verwaltung des Mangels“ lässt sich besonders eindrücklich anhand des Physiologischen Institutes verdeutlichen. Leider sind zahlreiche Akten der medizinischen Fakultät im Krieg zerstört worden, die Akten des Physiologischen Instituts haben sich nur für den Zeitraum von 1941 bis 1944 erhalten. Trotz der dünnen Quellenlage lässt sich anhand dieser Akte ein bislang gänzlich unbekannter Aspekt der tierexperimentellen Forschung im Dritten Reich beleuchten: die illegale Versuchstierbeschaffung. Der Leiter des Physiologischen Institutes, Professor Achelis, scheint spätestens 1941 den Konflikt zwischen staatlicher Disziplinierung und der Notwendigkeit von tierexperimenteller Forschung auf eigenwillige Weise umgangen zu haben. Im Bestreben nach einer geregelten Versorgung seines Instituts mit Versuchstieren knüpfte er 1943 Kontakt mit dem Berliner Pensionär Emil Reichelt, der sich mit illegalem Versuchstierhandel ein Zubrot verdiente. Wider die Vorschriften des Reichstierschutzgesetzes scheint Reichelt in seiner Berliner Wohnung massenweise Kleintiere auf engstem Raum gehalten zu haben. Seine Angebotspalette erstreckte sich dabei von herkömmlichen Hamstern bis hin zu sibirischen Erdhörnchen und Krallenfröschen. Achelis bestellte zwar umgehend, konnte seinen Versuchstierbedarf aber langfristig nicht mit Reichels Angeboten decken. Da im Laufe des Jahres 1943 die Versuche, die Lieferungen seiner ehemaligen, legalen Versuchstierhändler wieder in Gang zu bringen, immer mühsamer wurden, ist nicht auszuschließen, dass der Diebstahl von Haustieren zunehmend ins Blickfeld geriet. Bereits 1941 hatte sich ein Heidelberger namens Paul Paschke schriftlich an das Physiologische Institut gewandt: „Meine Katze ist seit heute 5 Tagen fort, es besteht die Möglichkeit, dass sie mir entwendet u. an Versuchsanstalten veräußert worden ist.“ (UAHeid KV-IV/2-11/3).

Paschkes Misstrauen scheint keineswegs unbegründet und ungewöhnlich. Der Handel mit gestohlenen Haustieren dürfte zwar im Vergleich zum Gesamthandel mit gezüchteten Versuchstieren seit jeher nur eine geringe Rolle gespielt haben, eignete sich aber seit Bestehen der Tierschutzbewegung im 19. Jahrhundert vortrefflich zur Agitation der Anti-Vivisektionisten. Bereits 1902 hatte in Frankfurt am Main ein öffentlich viel beachteter Prozess gegen vier Männer stattgefunden, die beschuldigt wurden, das „Königliche Institut für experimentelle Therapie“ des späteren Nobelpreisträgers Paul Ehrlich mit gestohlenen Hunden beliefert zu haben. Auch wenn die Angeklagten freigesprochen wurden, hielt sich das Misstrauen in der Bevölkerung hartnäckig, und die Forderung nach einem Bestandsbuch in den Laboratorien, das „über den Erwerb höher organisierter Tiere, wie Hunde und Katzen, sicheren Nachweis bietet und damit den heute nicht seltenen Ankauf gestohlener Tiere  einschränkt“ (Forderungskatalog des „Verbands der Tierschutzvereine des Deutschen Reiches, 1931), muss in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Eine weiteres Problem für das Physiologische Institut war neben der Versuchstierknappheit auch – wie bereits am Beispiel der Universität Tübingen angedeutet – der damals herrschende Futtermangel. Obwohl der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung noch im Juni 1943 den Universitäten mitgeteilt hatte, dass „die Schwierigkeiten bei der Futterbeschaffung für Versuchstiere inzwischen behoben seien“ (UAHeid K-IV/2-11/3), war bereits zu diesem Zeitpunkt an eine geregelte Versorgung der Institute mit Futter nicht mehr zu denken. Im Januar 1944 musste Achelis eine Lieferung von 21 Ratten an das Physiologische Institut sofort wieder an den Lieferanten zurückgehen lassen, da das Institut die Tiere „wegen Futtermangel“ nicht halten könne.

Dass die vom Reichsminister 1943 erlassenen Bestimmungen für die Beschaffung von Versuchstierfutter sich in der Praxis als unbrauchbar erwiesen, hat vor allem mit der aberwitzigen Umständlichkeit tun, die fortan mit jeder Futterbestellung verbunden war. Diese Verordnung stützt die These, dass Tierversuche auch während des Krieges formal noch reglementiert bleiben sollten. Das stark bürokratisierte System der „Futterbeschaffung für Versuchstiere“ soll hier am Beispiel der oben erwähnten Lieferung im Januar 1944 durch den Versuchstierhändler Haase erläutert werden. Hätte Achelis die Ratten nicht an den Lieferanten zurückgesandt, sondern trotz Futtermangels behalten, dann hätte er zuerst der Firma Haase eine Empfangsbescheinigung ausstellen müssen, aus der „klar ersichtlich“ war: Name und Anschrift des Käufers und des Verkäufers, Zahl und Art der gelieferten Versuchstiere sowie der Zeitpunkt der Ablieferung. Nach Erhalt dieser Empfangsbescheinigung hätte die Firma Haase die Bescheinigung beim zuständigen Getreidewirtschaftsverband einreichen müssen. Der Getreidewirtschaftsverband hätte sodann dem Lieferanten Haase „Freistellungsscheine“ ausgestellt. Diese Freistellungsscheine hätte dieser dann bei einem von ihr benannten Futtermittelhändler einreichen können, der schließlich dafür Sorge getragen hätte, „daß die Auslieferung Zug um Zug erfolgen kann.“ Eine entsprechende Prozedur galt auch für die Beschaffung von Lebertran (zuständig: die Apotheken) und Frischmilch (zuständig: die Milchwirtschaftsverbände) für Versuchstiere. Es bedarf keiner tieferen Sachkenntnis um festzustellen, dass bis zum endgültigen Eintreffen des Tierfutters im Physiologischen Institut sämtliche Ratten bereits den Hungertod gestorben wären! Am Beispiel der Universität Freiburg lassen sich hingegen vor allem zwei Aspekte der tierexperimentellen Forschung im Dritten Reich ausmachen: Zum einen der Schritt von genehmigten Tierversuchen zu Menschenversuchen, wie ihn der Hygiene-Professor Paul Uhlenhuth (1870-1957) zu vollziehen versuchte. Zum anderen die Praxis des illegalen, d.h. ungenehmigten Tierversuchs, die sich am Beispiel des Neurologen Richard Jungs veranschaulichen lässt. Der bereits emeritierte Uhlenhuth, der Anfang des Jahrhunderts bahnbrechende Beiträge zur Impfstoffforschung geleistet hatte, bemühte sich gegen Kriegsende darum, eine wissenschaftliche Lücke in seinem Lebenswerk durch Menschenversuche zu schließen, nachdem Tierversuche jahrelang ohne Erfolg geblieben waren. Auch 44 Jahre nach Entwicklung der Präzipitationsreaktion durch Uhlenhuth war die „rassenbiologisch relevante Frage“ nicht gelöst, ob sich Menschen verschiedener Hautfarbe in der Zusammensetzung ihres Serumeiweißes unterscheiden. Uhlenhuth erkannte hier ein Betätigungsfeld, das sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie auf eine bemerkenswerte Weise verknüpfen ließ, und entwickelte konkrete Vorstellungen, wie die Bildung von Antikörpern durch eine Vermischung des Blutes weißer und dunkelhäutiger Menschen angeregt werden könnte. Für diese Versuche benötigte er allerdings dunkelhäutige Menschen, um ihnen Blut zu entnehmen und nachher wieder einzuspritzen. Ihm gelang es 1944, das Oberkommando des Heeres von seinem Bedarf an farbigen Kriegsgefangenen zu überzeugen. Zu den Experimenten kam es gegen Kriegsende wohl aus logistischen Gründen nicht mehr. Uhlenhuth wurde für seine Absichten nach dem Krieg nie belangt. Während das NSDAP-Mitglied Uhlenhuth sowohl für seine Tier- als auch für seine Menschenversuche eine behördliche Genehmigung erhielt, durfte der Freiburger Neurologe Richard Jung offiziell nicht einmal an Tieren experimentieren. Jung war als Kritiker der Nationalsozialisten bekannt und hatte sich womöglich deshalb die Mühen eines Genehmigungsverfahren für seine Tierversuche erspart. Jung und sein enger Mitarbeiter Rolf Hassler führten daher heimlich und immer nachts Versuche an Katzen durch, denen Elektroden durch die geöffnete Schädeldecke hindurch dauerhaft in das Gehirn implantiert worden waren, um Gehirnströme und -aktivitäten zu dokumentieren. Hierbei waren die Tiere unbetäubt, da die Reaktion auf elektrische Impulse mittels der Elektroden einen reaktionsfähigen Zustand der Versuchstiere voraussetzte. Während eines solchen Experiments gelang es einem Versuchstier einmal mitsamt der Messvorrichtung aus dem offenen Fenster zu entfliehen. Jung begann ein fieberhafte und schließlich erfolgreiche Suche nach dem Tier, um zu verhindern, dass seine Kollegen von den illegalen Experimenten erfuhren. Obwohl Jung es nach dem Krieg zu weltweitem Renommee brachte, blieben seine während des Krieges vorgenommenen, illegalen Tierversuche bis heute unbekannt. Den Hinweis auf die heimlichen Experimente verdankt der Verfasser dieser Studie Herrn Professor Hermann Ackermann (Tübingen).

7 Schlussbetrachtung: Vom Tier- zum Menschenversuch.
Kriegswichtige und außeruniversitäre Forschung im Nationalsozialismus

Es gehört zu den Widersprüchen des nationalsozialistischen Tierschutzes, dass die Machthaber des Dritten Reiches auf tierexperimentell begründeten Fortschritt in Medizin und Technik freilich keineswegs verzichten wollten. Nachdem das ideologische Ziel, eine neue Tierschutzgesetzgebung zu verabschieden, erreicht war, folgte schon bald in der Praxis die Ernüchterung; denn die vom Nationalsozialismus geförderten wissenschaftlichen Forschungsvorhaben ließen sich ohne tierexperimentelle Studien nicht verwirklichen. Als Beispiel sei hier nur der propagandistisch geführte „Kampf gegen den Krebs“ (PROCTOR, 1999) genannt, der ohne massenhafte Tierversuche von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Das im Zuge dieser Kampagne gegründete Reichskrebsinstitut in Nesselstedt bei Posen besaß beispielsweise eine ungewöhnlich große „Tumorfarm“ für Tiere aller Art. Wie neuere Forschungen allerdings belegen, scheinen sich die Mitarbeiter dieser 1942/43 erbauten Anlage gegen Kriegsende nur noch marginal mit der Krebsforschung beschäftigt zu haben. Im Mittelpunkt stand vielmehr die Arbeit an biologischen Kampfstoffen, wie FRIEDRICH HANSEN (1993) nachgewiesen hat. Nach seinen Forschungen waren die direkt neben den Tierställen liegenden Gebäude für „menschliche Versuchstiere“, nämlich KZ-Häftlinge, vorgesehen.

Auf ähnliche Fälle der Verbindung von Tier- und Menschenversuchen in der medizinischen NS-Forschung stößt man in den Quellen immer wieder, wenngleich bislang noch kein umfassender Versuch einer Aufarbeitung unternommen worden ist. Besonders fündig wird man auf dem Gebiet der bakteriologischen und serologischen Forschung. Beide Fächer haben im Krieg eine enorme Instrumentalisierung und Förderung durch das NS-Regime erfahren: Anordnungen von höchster Ebene legten fest, dass die Universitäten überschüssige Versuchstiere an hygienische Forschungsinstitute abzugeben hatten; das Hygiene-Institut der Waffen-SS in Berlin praktizierte ohne moralische Bedenken und mit staatlicher Unterstützung den fließenden Übergang vom Tier- zum Menschenversuch. Tagebucheintragungen eines Institutsmitarbeiters geben Auskunft: „Da der Tierversuch keine ausreichende Wertung zulässt, müssen die Versuche am Menschen durchgeführt werden.“ (zit. nach SCHNABEL, 1952) Und trotzdem ist dies nur eine Seite der Medaille; erhielt doch immer nur die kriegswichtige Forschung die Erlaubnis zum uneingeschränkten Überschreiten der Tierschutzbestimmungen, zur faktischen Außerkraftsetzung des Reichstierschutzgesetzes, vor allem aber – und das wiegt ungleich schwerer – zur skrupellosen Missachtung der Menschenwürde. Eine statistische Auswertung der führenden deutschsprachigen hygienisch-bakteriologischen Zeitschrift (siehe Abb. 2) jener Zeit zeigt, dass der Anteil der tierexperimentellen Studien in der Grundlagenforschung, d.h. in der später nicht unmittelbar „kriegswichtigen“ Forschung, von bis zu 50 % (vor 1933) auf etwa 25% (nach 1933) bzw. auf 10 bis 15% (nach 1937) sinkt. Hier haben wohl die restriktiven Tierversuchsbestimmungen Wirkung gezeigt, in weitaus höherem Maße aber vermutlich die subtile Lähmung des universitär-tierexperimentellen Forschungsalltags durch den Zusammenbruch der halbstaatlichen Futterversorgung (vgl. v.a. Tübingen und Heidelberg) sowie die Einberufung von Fakultätsmitgliedern nach Kriegsbeginn.

Wie die genannten Beispiele aus der kriegswichtigen bzw. außeruniversitären Forschung belegen, waren dort die strengen Tierversuchsbestimmungen allerdings nur selten wirklich der Grund für ein Ausweichen auf Experimente am Menschen. Vielmehr wurden in der kriegswichtigen Forschung beide Arten von Experiment gleichberechtigt nebeneinander angewandt. Das Reichstierschutzgesetz steht also nicht in direkter Kausalität zu den von Ärzten begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Konzentrationslagern. Forscher, die solche Menschenversuche durchführten, durften ohnehin ebenso massenhaft mit Versuchstieren experimentieren. Und doch muss man die nationalsozialistische Tierschutzpolitik in Betracht ziehen, wenn man klären will, wie es zu diesen skrupellosen Menschenversuchen kommen konnte. Sie wären kaum ohne jene Weltanschauung möglich gewesen, die auch dem Reichstierschutzgesetz zugrunde liegt. Der nationalsozialistische Tierschutzgedanke impliziert nämlich eine radikale Verschiebung innerhalb der Mensch-Tier-Hierarchie: Wo Tiere nicht um ihrer selbst Willen und nicht aus ethischen Motiven geschützt werden, sondern als ideologischer Bestandteil einer arisch-naturverbundenen Volksgemeinschaft Schutz genießen sollen, werden auf verheerende Weise moralische Grenzsteine verschoben: „Wir Deutschen, die wir als einzige auf der Welt eine anständige Einstellung zum Tier haben, werden ja auch zu diesen Menschentieren eine anständige Einstellung einnehmen.“ (zit. nach HOFER, 1971, 113), sagte Heinrich Himmler in seiner berüchtigten Posener Rede 1943 in Hinblick auf die Ermordung der slawische Bevölkerung in den eroberten Ostgebieten. Wohin diese „Anständigkeit“ führte, ist bekannt.

Quellen: Institut für Didaktik der Biologie, ID B Münster
Ber. Inst. Didaktik Biologie Suppl.2 (2002), 167-184

FAZ, Natur und Wissenschaft, Dezember 2001
Tierschutz und Nationalsozialismus – eine unheilvolle Verbindung