Warschau (BZZ) – Das vor zwei Jahren in Polen verhängte Schächtverbot ist verfassungswidrig und wird aufgehoben, urteilte am Mittwoch das Verfassungsgericht in Warschau. Der Bund der Jüdischen Gemeinden Polens hatte gegen das Schächtverbot geklagt, ebenso wie auch die muslimischen Gemeinden, denen das Schlachten nach den Halal-Regeln ihrer Religion ebenfalls verboten wurde. Das Verfassungsgericht entschied zunächst nur über die Klage des jüdischen Gemeindebundes wie die „jüdische Allgemeine“ am 10. Dezember berichtete.
Als das Verbot vor zwei Jahren vom Parlament beschlossen worden war, gab es nahezu einhelligen Jubel unter den Tierschützern aber nicht zuletzt bei den rechtsgerichteten und rechtspopulistischen Organisationen in ganz Westeuropa. Einmal mehr wurde jüdischen und muslimischen Gläubigen die Religionsfreiheit abgesprochen und insbesondere die rituellen Schlachtungen verurteilt. Gegen beide abrahamitischen Religionen wurden mit blutrünstigen Fehl- und Vorurteilen argumentiert, oft sogar gehetzt. Während in vielen westeuropäischen Ländern das Fachurteil der Tierärzte gleichgeschaltet worden ist und sich kein Veterinärmediziner mehr wagt, Tötungen von Schlachttieren ohne Betäubung zu verteidigen, ist die Situation in den USA völlig anders. Dort gilt die so genannte Schächtung ohne jede Betäubung nicht nur als gesetzeskonform sondern auch als tierschutzgerecht. Politische Initiativen, die Schächtung zu verbieten oder auf den Eigenverbrauch der Gemeinden zu beschränken, hätten in Washington keine Chancen und wären verfassungsrechtlich gar nicht möglich.
Das Urteil von Warschau rückt jetzt nicht nur mit Blick auf die Religionsfreiheit das Thema wieder zurecht, es ist auch eine Ohrfeige für die gleichgeschaltete Veterinärmedizin in Ländern wie Deutschland, Polen und anderen westeuropäöischen Staaten. Richterin Maria Gintowt-Jankowicz begründete das Urteil des Verfassungsgerichts nämlich nicht nur mit der Religionsfreiheit, die die Verfassung Polens gewährleiste, sondern auch mit dem fehlenden wissenschaftlichen Nachweis der Tierschützer, dass eine direkte und schnelle Tötung schmerzhafter sei als eine langsame mit Betäubung. Der Schlachtvorgang werde von einer autorisierten religiösen Organisation zertifiziert und noch einmal von einer staatlichen Stelle kontrolliert. Die Skala der Schlachtungen – nur für den Eigengebrauch der jüdischen Gemeinden in Polen oder auch für den Export an jüdische Gemeinden im Ausland – sei für das Urteil irrelevant. Auch der Export ist damit in Zukunft wieder erlaubt.
»Ich bin sehr zufrieden«, kommentiert der bisherige Vorsitzende des Jüdischen Gemeindebundes Polens, Piotr Kadlcik: »In Zeiten, in denen Staatsanwälte der Ansicht sind, dass wir uns weder über anti-jüdische Ausschreitungen von Hooligans aufregen sollten, noch über den Vandalismus auf unseren Friedhöfen, ist dieses Urteil ein wirklich gutes Zeichen – für uns Juden wie auch für die Republik Polen.«
Die Klärung vor dem Verfassungsgericht war notwendig geworden, nachdem das Gericht 2012 festgestellt hatte, dass kein Minister ein vom polnischen Parlament verabschiedetes Gesetz mit einer bloßen Verordnung außer Kraft setzen kann. Tatsächlich hatte der Landwirtschaftsminister das Schlachten nach Kaschrut- und Halal-Regeln erlaubt, was gegen das Tierschutzgesetz verstieß. Demzufolge mussten zwei Jahre lang alle Tiere vor dem eigentlichen Schlachten betäubt werden. In der teilweise antisemitischen und islamphoben Debatte über Tierschutz und Religionsfreiheit stellten sich die meisten Medien auf die Seite der Tierschützer, sodass eine von der Regierung eingebrachte Gesetzesnovelle am Widerstand der Abgeordneten scheiterte. Widerstand gegen Tierschützer kam jedoch aus der Landwirtschaft, da der Export von Rindfleisch nach Israel und in die Golfstaaten sofort einbrach. Parallel dazu beschlossen die Nachbarstaaten Litauen und Lettland im Schnellverfahren, dort die rituellen Schlachtungen ohne Einschränkung zuzulassen.
»Dies war eine lange und schwierige Kampagne«, kommentiert Polens Oberrabbiner Michale Schudrich jetzt das Urteil. »Das Verfassungsgericht hat ein gutes und faires Urteil gefällt.« Dankbar sei er insbesondere für die Unterstützung durch die Europäische Rabbinerkonferenz und die britische Organisation Shechita UK.
Das Urteil tritt ab dem Moment seiner Veröffentlichung in Kraft.