Paris (BZZ) – Schwere Vorwürfe gegen die Produzenten der deutschen Wurstmarke Herta. Das zum Nestlé-Konzern gehörende Unternehmen aus dem Ruhrgebiet soll mit seiner Geflügelwurst „Knacki“ die französischen Muslime betrogen haben. In den angeblich islamkonformen Würsten fanden sich Reste von Schweinefleisch. Inzwischen haben nach einem Bericht der Pariser Tageszeitung „Le Figaro“ die betroffenen französischen Supermärkte, allen voran der Konzern „Casino“, die Herta-Erzeugnisse aus ihrem Sortiment entfernt. In den Skandal verwickelt ist auch die renommierte Grosse Moschée von Paris, die für die Zertifizierung der Herta-Wurstwaren in Frankreich verantwortlich war.
In Frankreich hat das Geschäft mit Erzeugnissen nach dem islamischen Reinheitsgebot ein grosses Wachstumspotenzial. Mit über fünf Millionen Muslimen hat das Land die grösste muslimische Gemeinde Europas. Für Nestlé, weltweit Marktführer in Sachen Halal-Food, ist der Skandal bei Herta ein schwerer Schlag, der weltweit das Vertrauen der Muslime in seine Produkte gefährden könnte. Nach einem Bericht des Tagesanzeigers in Zürich, der sich auf einen Mediensprecher von Nestlé France beruft, hat Nestlé die Produktion vorläufig gestoppt, will die Geflügelwürste nochmals gründlich analysieren und das Herstellungsverfahren verbessern.
Die Kontroverse um die angeblich islamkonforme Geflügelwurst von Herta bewegt die muslimische Gemeinde in Frankreich schon seit zwei Wochen. Am 14. Januar veröffentlichte das Labor Eurofins in Nantes eine Analyse, in der Spuren von Schwein bei der Marke „Herta Knacki“ festgestellt worden waren. „Die Anwesenheit von DNA der Zielart Schweinefleisch ist erkannt“, schließt der Bericht, der ursprünglich vom muslimischen Verbraucherforum „Debat Halal“ in Auftrag gegeben worden war und auf dessen Website publiziert wurde.
Nestlé, Markeninhaber von Herta, dementierte zunächst die Ergebnisse. Nestlé hatte tatsächlich bei einem weiteren Labor in Deutschland, der Genetic ID, eine Gegenanalyse in Auftrag gegeben. Dort wurde „bestätigt, dass keine Spuren von Schweine-DNA in den betreffenden Produkte waren“, sagte Nestlé France der Zeitung „Le Parisien“ . Die Genetic ID in Augsburg hat einen hervorragenden Ruf, das Labor war weltweit eines der ersten Unternehmen, das kommerziell GVO-Analytik für die Lebensmittelbranche angeboten hat und zählt seither zu den Führenden im Bereich der GVO- und Allergenanalysetechnologien. Die Analyse von Nantes schien demgegenüber nicht mehr glaubwürdig zu sein.
Jetzt hat Nestlé jedoch den Stopp der Produktion der Halal-Würste von Herta angekündigt. „Wir beschlossen, weitere systematische DNA-Tests in Auftrag zu geben, doch diese Tests verlängern die Lieferzeiten. Der Herstellungsstopp gibt uns Zeit, eine neue Produktionsorganisation aufzubauen“, begründete Nestlé seine Entscheidung gegenüber der Agentur Reuters.
Der Grossverteiler Casino mit seinen zahlreichen Supermärkten ging gar nicht erst ein Risiko ein. Die Handelskette hat unmittelbar nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts aus Nantes die Herta-Wurst aus den Regalen entfernt und die bereits gelieferten Produkte analysiert. Casino sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, parallel seien „weitere unabhängige Studien angelaufen um die strengste Einhaltung der Halal-Zertifizierung zu gewährleisten.“ In allen Ballungsräumen mit hohem muslimischem Bevölkerungsanteil haben die Supermärkte von Casino ihren guten Ruf zu verlieren.
Fateh Kimouche, Halal-Food-Spezialist beim Blog Al-Kanz.org meint zum Herta-Skandal, „das schwächste Glied sind die Zertifizierungsstelle und die gewählten Referenzen“. Seiner Meinung nach könne die Anwesenheit von Schweinefleisch in den halal zertifizierten Herta-Würsten durch zwei Hypothesen erklärt werden: entweder der Hersteller verwende die gleiche Produktionslinie für Wurstwaren aus Schweinefleisch und solche, die als halal bezeichnet werden, oder die Produkte seien von Anfang an mit einem Rezept für Schweinefleisch entwickelt worden. Allerdings hätten die Zertifizierungsstellen die Zutaten, die bei der Herstellung von Halal-Produkten verwendet werden, zu prüfen.
„Wir sind in einer Debatte über die Halal-Zertifizierung gefangen“, klagt Valérie Bignon, Sprecherin von Nestlé Frankreich, gegenüber AFP. „Wenn das Zertifizierungsverfahren geändert werden sollte, werden wir uns anpassen“.
Le Figaro stellt fest: „Derzeit gibt es in Frankreich keine Normen, Vorschriften oder eine Prüfungspflicht bezüglich Halal-Produkten. Sechzig Zertifizierungsstellen sind auf dem Vormarsch in Frankreich, ohne viel zu einer einheitlichen Definition des Halal-Zertifizierung und deren Durchsetzung beizutragen. Nach dem Internet-Portal „Islam in Frankreich“, sind die vier großen Zertifizierungsstellen die drei großen Moscheen von Paris, Lyon und Evry sowie die private Organisation „A votre Service“ (AVS). Diese Tatsache sei nicht etwa spezifisch für Frankreich, sondern für alle Länder in Europa.
Die Pariser Moschee ist zuständig für die Zertifizierung von Halal-Produkten von Nestlé. Mehrere französische Halal-Experten haben inzwischen die altehrwürdige Institution, die seit 1939 Halal-Lebensmittel zertifiziert, und auch in Deutschland und der Schweiz tätig ist, scharf angegriffen und deren Zertifikate in Frage gestellt. „Die Bedingungen für die Analyse bei Zertifizierungen der Großen Moschee von Paris sind ein Gräuel.“ Der Partner der Pariser Moschee, die „Société française de contrôle de viande halal“ (SFCVH), hat die Kritik auf dem Blog-Al-Kanz dagegen als falsch und als „Verkaufen von Effekthascherei“ bezeichnet. Im Hintergrund tobt auch ein langjähriger Streit verschiedener muslimischer Migranten in den drei grossen französischen Moscheen. Während die 1923 errichtete Grande Mosquée de Paris einen algerischen Hintergrund hat und lange Jahre ohne jede Konkurrenz war, wird jene von Evry von Marokko mit finanziert und der Grande Mosquée de Lyon wird nachgesagt, dass sie Saudi-Arabien nahesteht. Die Konkurrenz der Zertifizierer ist in jedem Halal-Regal in Frankreich dokumentiert, denn es geht inzwischen um Einnahmen, die nach Schätzung von Halal-Experten längst dreistellige Millionenbeträge erreicht haben dürften.
Der Verursacher der neuesten Halal-Krise ist da relativ bedeutungslos. Die Herta GmbH ist ein deutsches Unternehmen der Fleischwarenindustrie und eine Dachmarke für deren Produkte. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Herten (Westfalen) und ist seit 1987 eine Tochtergesellschaft des Nestlé-Konzerns. Sie ist auf Selbstbedienungsprodukte spezialisiert. Ihr islamisches Engagement ist in Deutschland so gut wie unbekannt. Herta produziert heute an acht Standorten, darunter auch in Saint-Pol-sur-Ternoise, Barbezieux, Illkirch und Wangen (Bas-Rhin) in Frankreich.
Quellen: Le Figaro , Blog „Al Kanz“, Société Française de Contrôle de Viande Halal