Halal-Food am Nordpolarmeer fördert die Nenzen

Halal-Food am Nordpolarmeer fördert die Nenzen – Dagegen darbt das letzte indigene Volk der EU

Peter Z. Ziegler berichtet vom Polarkreis

Europas Norden ist ein Ort der spektakulären Schönheit, der Berge und Wälder, Seen und Flüsse, im Winter durch den Schein der Aurora Borealis, der Nordlichter beleuchtet. Es ist auch die Heimat einer erstaunlichen Vielfalt von Pflanzen und Tieren, die durch die indigene Bevölkerung der Region weitgehend überlebt haben – der Sami. Bis zum heutigen Tag folgen manche Sami ihren Herden von frei lebenden Rentieren und erhalten damit eine Tradition aufrecht, die geholfen hat, ihre alte Lebensweise in das 21. Jahrhundert zu retten. Aber in den letzten Jahren kam eine neue Spezies in den Norden: die multinationalen Bergbaugesellschaften. Sie wollen die außerordentlich reichen Mineralvorkommen der Region nutzen und versprechen den skandinavischen Regierungen viele Arbeitsplätze und Einkommen. Die Sami bemerken, dass ihre Art zu leben und ihre bemerkenswerte natürliche Welt, die sie bewohnen, in Gefahr geraten. So fingen sie damit an, sich zu wehren. Es ist bemerkenswert, dass es jüngst der arabische TV-Sender Al Jazeera war, der in einer eindrucksvollen Dokumentation Partei für das letzte indigene Volk in der EU ergriff.

Polarmeer

Wer den äußersten Norden unserer Erdkugel betrachtet, der sollte dies mit einem Globus tun, eine plane Landkarte verzerrt die Maßstäbe. Jetzt wird klar, welche Verbindungen innerhalb des Nordpolarmeeres zwischen der Barents- und der Karasee bestehen. Letztere wird im Westen von der bogenförmigen Inselgruppe Nowaja Semlja eingefasst, welche die viertgrößte und sechstgrößte Insel Europas enthält. Im Osten bilden die Inselgruppe Sewernaja Semlja und die Taimyr-Halbinsel den Rahmen. Im Süden grenzt die Karasee unter anderem an die Jamal-Halbinsel, die nach Süden in das Westsibirische Tiefland übergeht. Die dort heute noch nomadisierenden Nenzen, ein Samojedenvolk, sind enge Verwandte der europäischen Sami, beide Sprachen sind auf einen alt-samischen Ursprung zurückzuführen. Orte wie Kautokeino, Inari und Murmansk sind seit dem Ende des Kalten Krieges wieder weitmaschig mit Salechard und Jar-Sale verwoben und haben eines gemeinsam: nomadische Kultur und das Rentier. Zuvor hatte dies nur eine kleine Gruppe Europäer erkannt: nationalistische Finnen, die 1918 auch auf russischem Gebiet ein Grossfinnland gründen wollten.

Anfang März 2014 feierte der Weltverband der Rentierhirten bei den Yamal-Nenzen in Nadym seinen bereits 19. Rentierhirten-Tag. Die Gäste kamen auch aus Sápmi, wie Lappland bei den Sami der vier Nationen Norwegen, Schweden, Finnland und Russland heisst. Bei aller Festfreude zeigt sich aber auch hier der Wermutstropfen einer gierigen Zivilisation. Werden die Sami durch den Minenbau bedroht, so sind es an der Mündung des riesigen sibirischen Stromes Ob die Gasfelder der allmächtigen Gazprom. Mehr als 30 Millionen Rubel wurden in den vergangenen Monaten aufgewendet um den Nenzen etwa 15´000 verendete Rentiere zu bezahlen. Die Verwaltung der autonomen Provinz gab jetzt bekannt, man könne trotz dieser herben Verluste alle Lieferverpflichtungen für das Inland und ebenso für die finnischen und deutschen Partner erfüllen.

Ganz im Gegensatz zu oberflächlichen antirussischen Reportagen in westlichen Medien scheint es auf den ersten Blick so, dass Russland inzwischen seine Rentierhirten besser stellt als die mächtige EU. Brüssel hat für die Sami wenig übrig. Während ein Züchter für sein Rentier nur 20 Euro Unterstützung erhält, bekommt ein Landwirt von der EU für ein Schaf bis zu 194 Euro. Diese Politik wird bei den Vertretern des Samenparlaments als gezielte Fortsetzung der Kolonialisierung verstanden, denn wenn die Rentierzüchter ihre Tiere nicht länger halten können, werden sie auch ihr Nutzungsrecht an Weideland nicht beanspruchen.

Der Winter 2013/14 ist bei den Nenzen gut gelaufen, sie können tonnenweise für harte Währung ihr Rentierfleisch nach Finnland und Deutschland verkaufen. In Nordeuropa dagegen droht den Rentierhirten jetzt eine Katastrophe. Viel zu wenige Jungtiere waren geboren worden, viele davon starben in einem zu heissen Sommer 2013 und die jüngsten Schlachtungen zeigten, dass die Fleischqualität eher schlecht ist. Allenfalls im allerhöchsten Norden der EU, in der Region von Inari und Utsjoki, bis zu 500 km nördlich des Polarkreises, rentiert sich die Rentierhaltung für samische Familienbetriebe noch. Manche Gegenden im Süden Lapplands sind zudem überweidet, Flechten mussten in diesem Winter teuer aus Mittelfinnland importiert und Pellets zu gefüttert werden. Dazu sind oft weite Strecken mit spritfressenden Motorschlitten zurückzulegen. Heikki Nikula, Mitinhaber und Chefkoch des renommieren Hotels Kultahovi in Inari, befürchtet in diesen Tagen, dass er im Sommer zu wenig Rentierfilets für seine verwöhnten Gäste haben wird. Ein deutscher Grosshändler, der jüngst 210 Tonnen Rentierfleisch ordern wollte, erhielt eine Absage. Finnland selbst produziert in guten Jahren etwa 2´500 Tonnen Rentierfleisch, jetzt dürfte es etwas mehr als die Hälfte werden.

Seit Jahren importiert die “Lapin Liha OY” 250 Tonnen „Poro Liha“ wie Rentierfleisch auf Finnisch heisst, von bester Qualität aus dem Autonomen Gebiet der Yamal-Nenzen. Dazu wurde der Schlachthof in Jar-Sale von der finnischen Firma Kometos OY gebaut. Der Schlachtbetrieb der “Yamal Reindeer Company” hat im Jahr 2006 die EU-Zertifizierung für den Export erhalten. Dieser Bedarf dürfte steigen, doch inzwischen hat die Genossenschaft der Nenzen in den Golfstaaten einen zahlungskräftigen Kunden gefunden, der den Preis treibt, aber Wert auf islamkonforme Schlachtung legt. Damit können die Samen wegen restriktiver Tierschutzgesetze nicht dienen, wohl aber die Nenzen. Schon 2010 entstand durch einen Zufall eine Beziehung zwischen den Erdöl- und -gasförderern von Gazprom und ihren noch grösseren Mitbewerbern in Katar. Dabei entdeckte der frühere Emir persönlich die Qualität des biologisch hochwertigen Rentierfleisches. Es ist durch seinen hohen Gehalt an Eiweiß, den Vitaminen A, B, C und PP bei gleichzeitig niedrigem Fettgehalt einzigartig und hat einen hohen Nährwert. Einige seiner Inhaltsstoffe gelten als vorbeugend gegen Krebs und Arteriosklerose. überdies ist es als Diätkost geeignet bei durch Eiweißmangel hervor gerufenen Krankheiten wie Stoffwechselstörungen, Fettsucht und erhöhten Cholesterinwerten. Inzwischen ist Rentierfleisch in Yamal zur Chefsache geworden. Gouverneur Dmitri Kobylkin kümmert sich persönlich um den Export. In seinen 6 Rayons, wo 700.000 Rentiere und 500.000 Menschen leben, musste Kobylkin vor drei Jahren in aller Eile bei der staatlichen “Yamal Reindeer Company” eine rituelle islamische Schlachtung und die industrielle Produktion von 1.000 Dosen von Halal Rentierfleisch für den Versand in den reichen Wüstenstaat organisieren.

Sergej Uramayev, ein Vertreter der “Yamal Reindeer Company”, sagte damals gegenüber Reuters, dass nach Rücksprache mit den muslimischen Autoritäten der Salechard Moschee in der Hauptstadt von Jamal, von seiner Gesellschaft beschlossen wurde das Projekt auch auf den Halal-Markt in Russland auszuweiten. “Es gibt eine große Nachfrage unter Russlands muslimischer Gemeinschaft für Halal-Produkte. Vor zwei oder drei Jahren wurde es noch nicht gesehen, jetzt kennt jeder die Halal-Produkte”, meinte der für die Zertifizierung zuständige Imam Abdullah Hazrat.

Deutschsprachige Leser dürfte überraschen, dass es in dieser unwirtlichen Region am Nordpolarmeer überhaupt Muslime und sogar Moscheen gibt. Weder mit Google noch mit Wikipedia sind Recherchen möglich, es herrscht Fehlanzeige. Allenfalls die rührende Geschichte einer christlichen Missionstätigkeit bei den Nenzen und die Schwierigkeit, das Neue Testament in deren Sprache zu übersetzen, wird erzählt. Im Gegensatz zu den Sami mussten die Nenzen nie eine Zwangschristianisierung über sich ergehen lassen und die Sowjetunion übersah schlicht ihre Naturreligion. Im neuen Russland werden mit ausländischer Hilfe neue Moscheen gebaut, selbst an Orten weitab von traditionellen islamischen Zentren wie der Autonomen Region der Yamal-Nenzen. Das türkische Unternehmen „Ata Bau“ hat die Moschee in der Hauptstadt Salechard erstellt, wo Muslime inzwischen 20% der Bevölkerung stellen. In der Folge wird heute nahezu ausnahmslos die rituelle Schlachtung der Rentiere nach den Regeln der Schari´a vorgenommen.

Da mag Norwegen, das bisher durch seine eher islamphobe Haltung aufgefallen ist, nicht zurückstehen. Im Dezember 2013 meldete die nord-norwegische Regionalpresse, dass der Rentierzüchter Harry Dyrstad 100 Tiere gemäss den Halal-Regeln geschlachtet habe. Dazu habe er Mitglieder des Islamischen Rates eingeladen ihn in seinen mobilen Schlachthof nach Steinkjer, nördlich von Trondheim, zu begleiten. Dort wurden die Rentiere gesetzeskonform vor der Tötung zunächst per Bolzenschuss betäubt. Das Fleisch soll dann angeblich nach Dubai geflogen worden sein.