Halal: Hürdenlauf im Lebensmittelhandel

Wien (Standard) – Alfred Berger kann sich an den Sturm der Empörung noch gut erinnern. 3000 Mails mit Drohungen und persönlichen Anfeindungen seien über die Nöm hereingebrochen, erzählt der Chef des Molkereikonzerns, ausgelöst von drei Buchstaben auf Milchpackerln für Ethno-Supermärkte: Süt, auf Türkisch Milch. Es war eine Hetzkampagne, aus der er viel gelernt habe, sagt Berger. Er habe die zweisprachigen Packungen 2010 nicht zurückgezogen, dafür jedes Mail beantworten lassen. „Heute erfreuen sie sich bester Beliebtheit.“

Bei Spar löste eine einzelne Halal-zertifizierte Wurst vor Jahren eine Beschwerdeflut aus. Die Handelskette stoppte die Listung, will aber jetzt neu Anlauf nehmen.

Für ähnlichen Wirbel sorgte bei Merkur nach islamischen Regeln zertifiziertes Faschiertes. Worauf Rewe unsachliche Kritiker hart in die Schranken wies und Ruhe einkehrte. Es seien einige wenige, jedoch gut vernetzte Leute aus der rechten Ecke, die Stürme im Wasserglas auslösen, sagt Günther Ahmed Rusznak, Präsident des Islamischen Informations- und Dokumentationszentrums. Dass im Islam der Schutz der Tiere etwa hohen Stellenwert habe, diese auch vor der Schlachtung betäubt würden, das werde von ihnen schlicht nicht zur Kenntnis genommen.

Mehr Gewicht

Der Markt für Lebensmittel, die auf die Essensgewohnheiten Menschen verschiedenster Nationalitäten und Religionen Rücksicht nehmen, gewinnt in Europa stark an Gewicht. Auch Österreichs Lebensmittelindustrie ist längst dafür gerüstet – reüssiert damit aber fast ausschließlich im Export, sagt Josef Domschitz, der die Branche in der Wirtschaftskammer vertritt.

80 Hersteller sind bereits Halal-zertifiziert, von Fruchtsaftherstellern und Energy-Drink-Anbietern bis zu Spezialisten für Gewürze und Backmischungen. Und Rusz- nak zählt jede Woche ein bis zwei weitere Anfragen. In Europa leben 45 Millionen Muslime. Für Nahrungsmittelproduzenten erwachse daraus ein bedeutender Wirtschaftszweig, ist Domschitz überzeugt. In Deutschland, Großbritannien und Frankreich seien Halal-Produkte etwa längst selbstverständlich, ergänzt Rusznak, Österreich hingegen hinke hinterher.

Merkur bedient Einwanderer in den Filialen mit rund 400 Produkten aus ihrer Heimat. Die Palette werde erweitert; es sei ein kleiner, jedoch sehr lebendiger Geschäftszweig, sagt Rewe-Sprecherin Ines Schurin. Spar baut Ethno-Food im urbanen Bereich aus und lässt sich den Markenmix von externen Spezialisten zusammenstellen.

Zielpunkt vervierfachte die Palette an türkischen, kroatisch/serbisch/bosnischen Artikeln in den Ballungsräumen auf 99. Vorstand Thomas Janny spricht von einem „klaren Wachstumsmarkt“, zumal laut Statistik Austria bereits fast 18 Prozent der Österreicher Zuwanderer der ersten und zweiten Generation seien. Lebensmittel aus aller Welt nach Österreich holen zudem die Farbtupfer unter den Supermarktriesen: türkische und asiatische Händler von Etsan und Aycan bis zu Prosi und Nakwon.

Quelle: Verena Kainrath, DER STANDARD, 18.5.2013