Muslim-Funktionäre: ein deutsches Halal-Zertifikat gibt es – nutzt es endlich!

Berlin (BZZ) – Handelt endlich statt nur zu reden, nach den besonders ekligen Fällen des Betrugs mit Fleischwaren wird dieser Ruf immer lauter und eint inzwischen seriöse Produzenten, den Handel und die Konsumenten. Eine der wichtigsten Forderungen an die Regierung ist es, schnellstens brauchbare und rechtlich verbindliche Zertifizierungen zu schaffen auf die sich die Konsumenten verlassen können. Es ist zu erwarten, dass das Thema vor der Bundestagswahl nicht mehr erledigt werden kann. Die üblichen Verdächtigen treffen sich inzwischen wieder einmal zu Konferenzen, fordern die Bildung von Arbeitsgruppen und geben ihre guten Absichten in Presseerklärungen bekannt. Dabei sind die Bausteine für eine nachhaltige Lösung bereits vorhanden, sie müssten nur sinnvoll kombiniert und die involvierten Partner zur Kooperation überredet werden. Für manchen Verbandsfunktionär und Lobbyisten ist es jedoch einfacher, die zuständige Ministerin mit populistischen Forderungen einzudecken als konstruktiv an einer Lösung zu arbeiten. Ein besonders trauriges Beispiel liefern hier die deutschen Muslime.

Nicht nur in Deutschland, in allen Ländern der Europäischen Union verunsicherten in den vergangenen Wochen die Skandale um Produkte aus der fleischverarbeitenden Industrie die Konsumenten und den Handel. Es ging um heimlich beigemischtes Pferdefleisch, Schweinefleisch in Wurstwaren für Muslime, mutmasslich zu Fleischprodukten verarbeitete Hunde und Katzen in Südeuropa und nicht zuletzt um die Forderung an die Politiker, endlich Vorschriften zu erlassen, damit tierische Zutaten in Lebensmitteln deklariert werden müssen. Inzwischen gibt es eine breite Front von Veganern, Vegetariern, Anhängern der Naturkost, den religiösen Gemeinschaften der Muslime und der Juden aber auch von ganz durchschnittlichen Kunden des Einzelhandels, die alle zusammen Verbraucherministerin Ilse Aigner bedrängen. Der Ruf nach mehr Kontrollen ist freilich nahezu verebbt, denn auch Otto Normalverbraucher hat eingesehen, dass man nicht neben jeden Metzger einen Kontrolleur stellen kann. Dafür werden jetzt Zertifikate gefordert, die nach strengen Richtlinien vergeben werden müssten und dann verbindlich sein sollen. Der Staat kann diese Zertifikate mangels Qualität und Quantität seiner Behörden aber nicht ausstellen. Nicht nur die EU-Kommission in Brüssel verlangt es, ein pragmatisches Handling fordert es sogar: Private Kontrollinstanzen mit hochqualifizierten Mitarbeitern und aufwendig ausgestatteten Hightech-Labors inklusive millionenteuren elektronischen Mikroskopen müssen eingebunden werden um das Problem effizient und nachhaltig zu lösen.

Besonders homogen und eigentlich dazu prädestiniert, die eigenen Interessen des Konsumentenschutzes durchzusetzen, erscheint eine Verbrauchergruppe, die in Deutschland vom Handel noch immer nicht richtig ernst genommen wird, das sind die etwa 4 Millionen hier lebenden Muslime mit und ohne deutschen Pass. Sie generieren mit islamkonformen Lebensmitteln, kurz Halal-Food genannt, nach Angaben von Experten etwa fünf Milliarden Euro Jahresumsatz. Bisher müssen aber auch muslimische Kunden meistens das Kleingedruckte der Zutatenlisten lesen, um zu schauen, ob für sie verbotene Inhaltstoffe in den Speisen waren.  „Allerdings hilft das auch nicht immer weiter, denn es werden nicht in jedem Fall alle Inhaltsstoffe aufgeführt. Beispielsweise werden trübe Fruchtsäfte mit Gelatine – die manchmal auch vom Schwein stammt – geklärt“, berichtete am Wochenende die Deutsche Welle (DW). Autorin Rachel Baig: „Für die Zurückhaltung in Deutschland gibt es einige Begründungen: Zum einen fürchteten offenbar einige deutsche Unternehmen die Reaktion nicht-muslimischer Kunden auf das Angebot. Außerdem dächten bei Halal-Schlachtungen viele an Tierquälerei, sagt ein Sprecher des Europäischen Halal-Zertifizierungsinstituts (EHZ). Das Schächten von Tieren ohne Betäubung gebe es in der Massenproduktion aber nicht mehr.“

„Die uneinheitliche Kennzeichnung von Halal-Lebensmitteln gilt als Problem“ stellt DW fest.  Es gäbe mehrere Zertifizierungsstellen in Deutschland, fünf davon hätten eine Allianz gegründet, sie hätten aber kein einheitliches Siegel. Wohl wahr, die von der gutwilligen aber nicht besonders gut informierten Journalistin angesprochene Allianz ist eher eine Notgemeinschaft muslimischer Funktionäre, die als Zertifizierer ihrer Glaubensbrüder und -schwestern immer mehr unter Druck geraten und wohl bald ausgedient haben. Profundes religiöses Wissen reicht eben längst nicht mehr aus, um eine sehr komplex gewordene Materie gesetzeskonform zu beherrschen. Das von der Deutschen Welle angesprochene Europäische Halal-Zertifizierungsinstitut (EHZ) hat in Norddeutschland eine gewisse Bedeutung, nennt Wiesenhof einen seiner Hauptkunden, zeichnet sich aber vor allem durch gute PR-Arbeit aus. Von den Staaten am Golf wird EHZ nicht anerkannt. Ein weiterer Zertifizierer der Allianz, m-haditec in Bremen, gehört als eine schiitische Institution zu den kleinsten Zertifizierern  und gibt selbst an, dass die hauseigenen Zertifikate auf Basis der Fatwas (islamisches Rechtsgutachten) von Imam Ayatullah-ul-Udhma Seyyid Ali Chamene’i aus Teheran erfolgen. Chamene’i ist kein geringerer als der oberste Rechtsgelehrte und damit der politische und religiöse Führer des Iran. Seine Selbstbezeichnung lautet „Revolutionsoberhaupt“ und fraglos dürften seine Zertifikate den deutschen Handel und Verbraucher wenig beeindrucken, sie dienen denn auch tatsächlich dem unproblematischen Export von Waren in den Iran. Das ebenfalls der Allianz angehörende Islamische Zentrum Aachen (Bilal-Moschee) ist so umstritten, dass ihm vergangenes Jahr die Regierung der Arabischen Emirate in Abu Dhabi die Akkreditierung entzog und in der Folge dessen Zertifikate für den Import von Fleischwaren aus Deutschland für ungültig erklärte. Damit entfiel eine der wichtigsten Einnahmequellen des Moscheevereins.

Weitgehend übersehen werden von Politik und Medien jene professionellen Zertifizierungsunternehmen, die eigentlich den Ton und den Trend für die Lebensmittelüberwachung generell vorgeben. Sie betreiben eine islamkonforme Zertifizierung nur als Beigeschäft, das zwar für sie immer wichtiger wird, aber nur Bruchteile des Umsatzes ausmacht. „Halal“ ist für sie eine Investition in die Zukunft, die derzeit nur Geld kostet. Neben der international bedeutenden SGS mit Sitz in Genf und der ebenso wichtigen DNV Business Assurance, die zur unabhängigen Stiftung Det Norske Veritas gehört, sind es inzwischen fünf weitere Zertifizierer, die „halal“ alle nach einem vorgegebenen Muster definieren, einem System namens „Qibla Food Control“ (QFC). Inzwischen befassen sich Beamte im Ministerium von Ilse Aigner mit diesen QFC-Zertifikaten, sehr zum Missfallen einiger Muslimfunktionäre, die ungern weltliche Unternehmen mit ins Boot holen wollen. Andererseits ist Hoffnung in Sicht, denn der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime (ZMD), der  in den Medien omnipräsente Aiman Mazyek, erklärte jüngst: „„Die Zertifizierung von Lebensmittel für den muslimischen Verbraucher in Deutschland  muss deshalb transparent gemacht und vereinheitlicht werden“. Dazu hätte Mazyek, persönlich der Bilal-Moschee in Aachen verbunden, allerdings seit Jahren Gelegenheit gehabt, nicht zuletzt im Islamischen Zentrum Aachen. Die islamischen Religionsgemeinschaften, so sagt er heute,  sollten die jüngsten Skandale auch selbstkritisch als Warnung begreifen, um endlich einheitliche Kriterien für die Halal-Zertifizierung von Lebensmittel festzulegen“.  Weder Mazyek noch sein Internet-Sprachrohr „islam.de“ erwähnten freilich den Standard QFC als sie jüngst die Verbraucherministerin aufriefen, „bei der Standardisierung und bei den Audits von Halal-Produkten und Kontrollen konkrete Hilfestellungen für die Entwicklung eines deutsch-muslimischen Gütesiegels zu leisten“.

Die Vorbehalte gegen professionelle Zertifizierer und gegen deren QFC-Label beruhte allerdings nicht nur auf Vorurteilen. Der Schöpfer von  „Qibla Food Control“, der Familienunternehmer Richard Roscher aus Wildeshausen bei Bremen, hatte sich wohl nichts Böses gedacht, als er das von ihm unter erheblichem Zeit- und Kostenaufwand kreierte System unter seinem Firmennamen „RoWi Fleischwarenvertrieb GmbH“ anmeldete. Da musste der Verdacht aufkommen, Roscher habe sich das System nur ausgedacht um die von ihm designten Gefügelwürste europaweit an die muslimische Kundschaft vertreiben zu können. Auch der Autor war damals von starkem Zweifel befallen und schrieb im Magazin „Bio & Halal“: „Die Industrie kann sich keinen Halal-Standard vorbei an den islamischen Autoritäten schaffen. Dieser im April 2008 in Hannover unternommene Versuch ist seit der Messe von Köln (Anuga) als gescheitert abzuhaken.“ Richard Roscher, heute Senior in dem von seinen Söhnen geführten Familienbetrieb, war jedoch lernfähig und ging sogar auf seine schärfsten Widersacher zu. Der gläubige Katholik, der eben eine Ohrfeige erhalten hatte, bot als Christ den Muslimen auch seine andere Wange zum Schlag an und erntete bei vielen Respekt und später Anerkennung. Während der Intermeat 2010 in Düsseldorf gab Roscher senior bekannt, dass er seinen QFC-Standard nun in die Hände der Muslime übertragen werde. Dies geschah schliesslich durch die Einschaltung orientalischer Mitstreiter mit der üblichen zeitlichen Verzögerung. Inzwischen kümmert sich ein internationales „Qibla-Board“ analog zu einem Scharia-Direktorium um die islamrechtliche  Seite des Zertifikats und damit sind die einstigen Vorbehalte zur üblen Nachrede geworden. Freilich können das bis heute noch nicht alle Konkurrenten einsehen und bis vor kurzem offen und heute versteckt werden Zertifikate nach QFC mit rechtlich fragwürdigen Methoden in Frage gestellt und Kunden schon einmal gedrängt, sich nochmals „von den wahren Gläubigen“ nachzertifizieren zu lassen.

Mit derartigem Unsinn muss sofort aufgehört werden, sagen die betroffenen Produzenten und Händler, und wenn die muslimischen Verbände dazu nicht in der Lage sind, so müsse wie in Frankreich der Staat aufräumen und die Spreu vom Weizen trennen. Im säkularen Frankreich ist dies ohne grossen Widerspruch und mit Erfolg geschehen, nachdem sich dort Moscheen und private Zertifizierungsunternehmen ähnliche Fehden lieferten unter denen die Konsumenten litten. Sogar die begehrte Webadresse „halal.fr“ wurde kurzfristig aus dem Verkehr gezogen um die Gemüter zu beruhigen.

Islamische Multifunktionäre wie Aiman Mazyek und der Deutsch-Ägypter Ibrahim El-Zayat, Schutzpatron des erwähnten EHZ,  dürften sich bald neu orientieren, denn sie erkennen, dass der deutschen Muslim-Community inzwischen eine ganz andere Gefahr droht: Ausländer drängen auf den heimischen Markt. Dazu gehören nicht nur die französischen Zertifizierer wie die Grande Mosquée de Paris, das Islamische Informations- und Dokumentationszentrum (IIDZ) aus Österreich und Experten aus Malaysia sondern vor allem der US-Zertizierer IFANCA. Der prosperierende europäische Markt der Halal-Industrie besteht nämlich nicht nur aus Lebensmitteln, sondern dazu gehören auch Kosmetika und Pharmazie, Gastronomie und Tourismus und nicht zuletzt Islamic Finance. Das islamische Banking hat längst in Europa Fuss gefasst, doch tritt es noch immer sehr diskret und für Uneingeweihte kaum sichtbar auf. Ein Beispiel dafür ist die Bank Sarasin in der Schweiz, die mit ihren Finanzprodukten die Bedürfnisse wohlhabender Muslime bedient und mit ausländischen Steuersündern noch nie Geschäfte eingegangen ist. Nur eines ist die Halal-Industrie nicht: sie ist nicht in den Händen der Muslime. Sie gehört nur allenfalls zu 5% muslimischen Investoren und selbst diese sind meist nicht nach den Regeln des Islam Banking finanziert.

Peter Z. Ziegler

(Der Autor Jg. 1947, Fachjournalist und Publizist, lebt in der Schweiz, studierte islamische Wirtschaft in Kairo, befasst sich seit 2003 intensiv mit der  Halal-Industrie und ist Medienberater der Al-Azhar Universität.)

Quellen: Deutsche Welle, SGS Deutschland, DNV Business Assurance

Zertifizierungsunternehmen mit QFC-Standard: SGS – Halal-ZertifizierungDNV Business Assurance, Gistazert, Peterson Control Union GroupQAL GmbHLacon GmbHALBERK QA TECHNIC