Als Muslime in Deutschland rituell schlachten durften

In der immer emotionaler werdenden Diskussion um den Islam in Deutschland erinnert Fachjournalist Peter Ziegler an zwei Veröffentlichungen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus den Jahren 2001 und 2002. Sie sind es wert im Internet neu publiziert zu werden, als Beitrag zur Meinungbildung.

Schächten für Deutschland

Das Bundesverfassungsgericht schreibt in der Begründung seines 2002 verkündeten Urteils zum Schächten, im Dritten Reich seien nach dem Gesetz vom 21. April 1933 über das Schlachten von Tieren „Ausnahmen vom Schächtverbot … nur noch für Notschlachtungen zugelassen“ worden. Diese historische Bemerkung hat zwar für den Argumentationsgang des Urteils keine Folgen. Das Schächten war jedoch zumindest in der Endphase des Zweiten Weltkrieges durchaus erlaubt – und zwar für muslimische Kriegsgefangene.

In einem Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht vom 1. Juni 1944 heißt es, für Angehörige „mohammedanischer Religion ist das Schlachten von Tieren nach ihren Sitten und Gebräuchen (Schächten) genehmigt worden“. Das Motiv für diese Regelung war selbstverständlich nicht der Schutz von Glaubens- oder Berufsfreiheit. Sie sollte vielmehr „zur Förderung der Einsatzbereitschaft der Mohammedaner für Deutschlands Kampf“ beitragen: „Für diese Ausnahmegenehmigung ist zu beachten, daß die religiöse Betreuung der Mohammedaner auch in diesem Fall als ein Bestandteil der antibolschewistischen Aktivpropaganda aufzufassen ist.“

Umgehend beantragten im Juli 1944 die Angehörigen eines muslimischen Arbeitskommandos im oberschwäbischen Laupheim bei der Kreisbauernschaft einen Schlachtschein zum Schächten. Die Kreisbauernschaft weigerte sich, der Landrat war überfordert, der Württembergische Innenminister ratlos, und schließlich mußte der Reichsinnenminister höchstpersönlich anordnen, daß „kriegsgefangenen Mohammedanern das Schlachten von Tieren nach deren ritueller Methode gestattet wird“.

Die Skepsis der schwäbischen Bauern und Bürokraten verwundert nicht: Immerhin hatten sich die Nationalsozialisten stets mit der „Kulturtat“ des Schächtverbots gebrüstet. Die Nationalsozialisten beriefen sich auf den Tierschutz, tatsächlich handelte es sich allerdings bei dem Gesetz vor allem um eine antisemitische Maßnahme, wie der Bundesgerichtshof 1960 feststellte. Hunderte jüdischer Metzger, die vor 1933 unter Beachtung der religiösen Speisegesetze geschächtet hatten, verloren damals ihre Existenzgrundlage. Propagandistisch flankiert wurde das Verbot etwa durch die blutrünstige Schächtszene in dem Film „Der ewige Jude“.

Die Erkenntnis von Experten, die in einem vor dem Schächtverbot erstellten Gutachten festhielten, daß die Schächtung nicht grausamer sei als die gängige Schlachtung mit dem Bolzenschußgerät, paßte den Nationalsozialisten überhaupt nicht ins ideologische Bild, das den Tierschutz mit dem umfassenden „Reichstierschutzgesetz“ vom 24. November 1933 als wichtige Aufgabe einer arisch-naturverbundenen Volksgemeinschaft verstand (F.A.Z. vom 12. Dezember 2001). Ausnahmen vom Tierschutz wurden später vor allem für die Forschung gemacht – oder aber für Muslime, wenn gegen Kriegsende die letzten Reserven gegen den Bolschewismus mobilisiert werden sollten.

Autor: DANIEL JÜTTE

Der Autor wurde im Jahr 2001 für seine Arbeit über das Reichstierschutzgesetz von 1933 mit einem ersten Preis im Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte ausgezeichnet. Daniel Jütte hat inzwischen an der Universität Heidelberg als Historiker „summa cum laude“ promoviert.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.01.2002, Nr. 14, S. 44