Britische Farmer nutzen Halal-Boom für ihr Comeback

Das Qurbani Projekt der West Midlands

Birmingham (BZZ) – Die West Midlands, eine Region im zentralen Westen Eng­lands, wollen ein führen­des europäisches Zentrum für islam­konforme Fleisch­waren werden. Die regio­nalen Landwirte erwar­ten, dass sie jährlich Tausende von Tonnen von Halal-Fleisch zu muslimischen Gemeinschaften in der ganzen Welt versenden können. Vor allem die Vieh­züchter in Hereford­shire, Stafford­shire, Shropshire, Warwickshire und Worcestershire setzen auf die Verbrau­cher in neue Märkte für Halal-Fleisch in Europa, dem Nahen Osten und den arabischen Golfstaaten.

Nachdem Großbritannien alle Vorschriften des Hygienepakets umgesetzt hat, wie es das inzwischen direkt geltende EU-Recht vorsieht, ist eine lückenlose Rück­ver­folgbarkeit vom Erzeuger bis zum Verbrauchersystem gewährleistet. Die parallele Anwendung der Regeln des islamischen Rechts und der lebens­mittelrechtlichen Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft sind derzeit weltweit konkurrenz­los. Praktisch bedeutet dies, dass ein muslimischer Ver­braucher, der Zweifel daran hat, ob das von ihm gekaufte Steak von einem islamologisch korrekt geschlachteten Rind stammt, sich auf dem Bauernhof persönlich von der Tierhaltung und im belieferten Schlachthof von einer kor­rekten rituellen Schlachtung überzeugen kann.

Bereits der nationale britische Markt ist für die Erzeuger berühmter Rinder­rassen mit einem Umsatz von 2,8 Milliarden Pfund (3,04 Mia. EUR) eine wichtige Einkommensquelle geworden, denn immer mehr Muslime im Land verfügen über ein immer höheres Einkommen. Es gibt heute zwei Millionen Muslime in Groß­britannien und nach Angaben der britischen Behörde für Lebens­mittel­sicherheit mehr als 6 Millionen Verbraucher von Halal-Fleisch. Damit setzt sich im Vereinigten Königreich eine Entwicklung fort, die vor kurzem in den USA erforscht worden war. 62 Prozent der Käufer von jüdisch-koscheren Lebensmitteln erklärten, sie täten dies nicht wegen religiöser Vorschriften, sondern vor allem wegen der Qualität. Offenbar trauen viele Verbraucher den Prüfern religiöser Organisationen mehr Kompetenz und Ehrlichkeit zu als staatlichen Kontrolleuren.

Das neue System der Auszeichnungs- und Online-Zertifizierung, erstmals in den West Midlands praktiziert, wurde im Hinblick auf die strengen Anfor­de­rungen für eine Halal-Garantie im Sinne des islamischen Gesetzes ge­schaffen und deckt den kompletten Bereich von Tierschutz, Tierhaltung, Tiertransporte, Halal-Schlachtung und Lebensmittelverarbeitung ab. Ähnlich dem nationalen Qualitätssicherungssystem „UK food industry’s Red Tractor“ wurde der Halal-Standard aufgrund eines zwei Jahre durchgeführten Pilot­projekts, dem „West Midlands Qurbani Project“, entwickelt. Dabei waren zwei Organisationen be­teiligt, dem ethnische Minderheiten angehören, darunter das „West Midlands Minority Ethnic Business Forum“.

„Advantage West Midlands“ ist die Agentur für regionale Entwicklung der West Midlands mit einem Jahresbudget von mehr als 300 Millionen Pfund (326 Mio. EUR). Michael Oakes, Vorstandsmitglied für Angelegenheiten des ländlichen Raums dieser Organisation: „Die Landwirte haben in den letzten Jahren einige harte Schläge einstecken müssen, wie Maul- und Klauen­seuche, BSE, Aus­brü­che der Vogelgrippe und der Blau­zungenkrankheit und die folgenden Be­schrän­­­kungen des Verkaufs im Ausland.“ Vor allem für die Produzenten von rotem Fleisch eröffne das Qurbani Projekt auf dem globalen Markt für Halal-Fleisch-Produkte große Chancen.

Offenbar sind die britischen Muslime laut Oakes auch gute Fleischesser. Sie würden zwar nur drei Prozent der britischen Bevölkerung ausmachen, jedoch 20 Prozent des auf dem Markt des Vereinigten Königreiches angebotenen ro­ten Fleisches verbrauchen. Das Halal-Fleisch wird in zunehmendem Maße in Supermarktketten erworben aber auch in anderen Verkaufsstellen, die Nicht-Muslimen gehören. Oakes: „Das ist große Chance für unsere Vieh­züchter“. „Im Rahmen des Qurbani Projekts habe man in den West Midlands mit staatlichen Mitteln ein Prüfschema entwickelt, bei dem es niemals Zweifel geben könne, woher die Lieferun­gen kämen oder wie die Tiere getötet worden seien. „Die Ver­bes­serung der Rückverfolgbarkeit vom Erzeuger bis zum Verbraucher schafft in jeder Hinsicht einen Mehrwert, der unser System so akzeptabel macht.“ Die Janan Meats Ltd aus Kingswinford war der erste unabhängige Schlacht­­hof, der nach den Halal-Standards arbeitete und wurde wichtiger Part­ner für die Entwicklung des Vertriebes. Halal-Fleisch aus den West Mid­lands wird in vielen Formen und je nach Bedarf angeboten, einschließlich Kon­serven für den Export, geschützt durch Aluminium-Folie, vakuumverpackt, als ganzer Schlachtkörper oder als Teile.

Shoeeb Riaz, ein Forschungs-Berater aus Birmingham kennt die Probleme der muslimischen Konsu­men­ten: „Das Halal-Logo in Schaufenstern ist oft nicht patentiert oder durch eine Verordnung ge­deckt“. Es gäbe zahlreiche Prozesse vor lokalen Gerichten, weil angebliche Halal-Fleisch-Produkte nicht für den mensch­lichen Verzehr geeignet gewesen seien, falsch etikettiert waren und die vorgeschrie­benen Gesundheitsrichtlinien nicht eingehalten worden seien. Aber jetzt haben wir die Gelegenheit, um die Halal-Industrie und ihre Wett­bewerbsfähigkeit durch die Schaffung neuer Märkte im In- und Ausland zu stärken. Halal ist nicht mehr nur ein religiöses Thema für eine Rasse oder für eine Religion, sondern das Halal-Label ist in Großbritannien zu einem Symbol für Qualitätssicherungs- und Lifestyle-Wahl geworden.“

Die Halal-Lieferkette wurde während des vergangenen „Eid-ul-Adha“, des islamischen Opferfestes, im De­zember 2008 getestet. Tiere aus britischen Betrieben wurden in einem scharia-konformen Schlachthof geschlachtet und an die Armen in Bosnien verteilt. Dazu wurden unter der Flagge des West Midlands Qurbani Projekts mehr als 200 Tiere von einer landwirtschaftlichen Ge­nos­senschaft beschafft und als Spende an vier islamische Wohltätigkeits­or­ganisationen (Islamic Help, Islamic Aid, UK Islamic Mission und Muslim Hands) übergeben. Die Purple Foodservice Solutions Ltd transportierte die Hilfsgüter, welche vor Ort von „Small Kindness“ verteilt wurden, einer Hilfsorganisation, die Yusuf Islam gegründet hat, der frühere Popsänger Cat Stevens. Dabei wurden Waisen des Balkankrieges, von Armut heimge­suchte Familien und armen Studenten begünstigt.

Im Rahmen des innovativen System der Rückverfolgbarkeit, dem „Red Tractor’s Rind- und Lamm­fleisch Assurance Schema“, das in Verbindung mit der britischen Halal Corporation und ABM ent­wickelt worden war, konnten die Spender die gesamte Strecke der Hilfslieferung verfolgen. Berater Riaz: „Wir werden allen Gebern ein Feedback senden mit der Angabe des Be­trie­bes, in dem die Tiere geboren wurden, der Halal-Sicherheit, einer DVD mit dem Foto-Tagebuch der Reise sowie detaillierte Infor­ma­tionen über die Familie, die von der Hilfe profitiert hat.“ Die sich rasch fortentwickelnde Tracking-Technologie solle auch dazu verwendet werden, um das Engage­ment von Spendern von Nahrungs­mitteln weiter zu fördern. „Wir planen die Erweiterung der Regelung auf den Irak, Afghani­stan, Kaschmir, Pakistan, Indien und Afrika, sowie bei der Arbeit für die Armen und Bedürftigen im Vereinigten Königreich.“

Hamid Salim, der Vorsitzende der Enterprise Business Group von den West Midlands, dem ethnische Minderheiten angehören, sagte: „Das Qurbani Modell hat den Weg gezeigt, um höhere Einnahmen für die Landwirtschaft zu erzielen und die Beschäftigungsmöglichkeiten in der lebensmittelverarbeiten­den Indu­strie zu fördern.“ Jetzt würden Gespräche mit den Vertriebs­part­nern, den is­la­mischen Wohl­tätig­keitsorganisationen und zur Erarbeitung von Handels­ab­kom­men geführt, um ein wettbewerbsfähiges, profitables und nachhaltiges lang­fristiges Geschäft zu schaffen. Das islamisch geprägte Projekt erhielt bereits den Beifall der britischen National Farmers Union (NFU). Adam Quinney, West Midlands regionaler Vorstandsvorsitzender der NFU und selbst Farmer an der Grenze von Warwickshire zu Worcestershire, will mit seinen Kollegen die Chancen nutzen, die das Qurbani Projekt allen Rinder- und Schafzüchtern bietet.